NS-Konzentrationslager im Horrorcomic der 1950er Jahre – ein Zeitdokument?

Gastbeitrag von Ralf Palandt

Der Autor ist Experte für politische Comics und der Meinung, dass Comicerzeugnisse das gesellschaftliche Geschehen ihrer Zeit wiederspiegeln.
Mit Einschränkungen kann man Comics als historische Quellen betrachten.
Im Folgenden gibt uns Palandt einen Abriss über Darstellungen der Verbrechen in NS-Konzentrationslagern in US-Comicheften (hauptsächlich Precode-Horrorhefte) und behandelt dann schwerpunktmäßig den Fall der Gattin des Kommandeurs des KZ Buchenwald, Ilse Koch, die, so hieß es damals, Objekte gefertigt aus Menschenhaut sammelte.
Der mediale Wiederhall ihrer Grausamkeit schlug sich auch in einigen Comicgeschichten nieder. Diese trugen das Thema in fiktiver Aufbereitung weiter – oder schlachteten es sensationsgierig aus, je nach Sichtweise.
Palandt diskutiert zum Schluss seines Beitrags noch die psychoanalytische Wirkung von Horror an sich.

 

Viele Texte über Comics und Holocaust beginnen mit „Master Race“ von Al Feldstein (Skript) und Bernard Krigstein (Zeichnung).
Der US-Comic erschien 1955 in der ersten Ausgabe der Heft-Serie „Impact“ des für seine Horror-Comics bekannten EC Comics-Verlags.
Die Geschichte über die Konfrontation des KZ-Kommandanten Carl Reissman mit einem ehemaligen Opfer thematisiert u.a. die Bücherverbrennung, die Reichsprogromnacht, die Konzentrationslager mit ihren Gaskammern und menschenverachtenden medizinischen Experimenten bis hin zu Lampenschirmen aus Menschenhaut (Online HIER).

MasterRace4

Doch NS-KZs und die dort verübten Verbrechen waren schon VOR „Master Race“ Thema in US-amerikanischen Comics.

NS-Konzentrationslager in US-Comics der 1940/50er Jahre

Während des Zweiten Weltkriegs sind es vor allem die Super- und Action-Helden-Comics, in denen KZs genannt und gezeigt werden.
In „National Comics” #30 (Quality, März 1943) befreit der Superheld The Unknown Gefangene aus dem KZ Dachau (das komplette Heft findet sich online HIER, bitte Seite 24 ansteuern).
Weitere Beispiele stellt Bernhard Schaffer in „Adolf und die Propaganda. Das Dritte Reich im Spiegel der Zeitungscomics Amerikas“ vor (1994, S. 89-91).

Nach dem Krieg erzählen Comics auch „biographische“ Leidensgeschichten. In „Hero. A True Story“ (in „Boy Comics“ #24, Lev Gleason, Okt. 1945) schreibt der Russe Valentin Yelchishev die erlebten Greultaten in NS-Arbeitslagern auf (das komplette Heft findet sich online HIER, bitte Seite 25 ansteuern).

In „Escape from Maidenek” (in “Stamps Comics” #4, Youthful Magazines, April 1952) kann Eli Panyck, ein politischer Gefangener aus Polen, dem KZ Majdanek entfliehen und später vor Gericht Zeugnis ablegen über Gaskammern und gegen Nazi-Mörder (das komplette Heft findet sich online HIER, bitte Seite 22 ansteuern).

CityOfSlaves1In „City of Slaves” (in „Battlefield“ #9, Atlas, März 1953) wird der Franzose Alain in das KZ Dachau deportiert und erfährt von den Menschenversuchen in Unterdruckkammern. Als Tenor dieser Geschichten sei ein Satz aus dem Anfangstext des ersten Panels von „City of Slaves” zitiert: „The murdered, maimed and tortured must be avenged and the guilty must bear their guilt for their crimes to humanity!“

Doch oft müssen die (toten) Opfer selbst für Gerechtigkeit sorgen.
Hier ein paar Beispiele:

„A Gravedigger´s Terror!” (in „Mysterious Adventures“ #11, Story Comics, Dez. 1952) beginnt 1942 mit dem Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich. Der Dorf-Totengräber Franz Gerlui kollaboriert und foltert Gefangene, von seiner Frau Frieda ekstatisch zu mehr Grausamkeit angetrieben.
So wird sie Aufseherin im KZ-Bereich der Frauen. Auf der Flucht vor der US-Armee entdeckt Gerlui das Geheimnis der  Blutgier seiner Frau: Sie ist eine Vampirin. Sie tötet ihn und stürzt – von der Leiche eines Folteropfers verfolgt – in einen tödlichen Zaunpfahl (komplette Geschichte online HIER).

In „The Butcher of Wulfhausen!” (in „Kent Blake of the Secret Service“ #14, Atlas,
Juli 1953) flieht Colonel Kurt von Richter, der als Kommandant des KZs Wulfhausen Gefangene pfählen lies, 1952 aus der US-amerikanischen in die sowjetische Zone. Secret Service Agent Barry Stone verfolgt ihn bis zum ehemaligen KZ, wo der gesuchte Kriegsverbrecher über eine Skeletthand in ein Massengrab stolpert (oder gezogen wird?!) und von einem seiner Pfähle aufgespießt wird (komplette Geschichte online HIER, jedoch muss man sehr weit herunterscrollen, besser Suchfunktion – Str/F oder Cmd/F – nach „Wulfhausen“ eingeben).

In „The Dead Remember!” (in „Forbidden Worlds“ #25, American Comics Group, Jan. 1954) trifft sich nach dem Krieg Hans Krause, ehemaliger „Wachtmeister” der SA, mit weiteren Altnazis, um Hitlers Geburtstag zu feiern. Auf dem Rückweg, am ehemaligen KZ vorbei, ziehen ihn die Geister seiner Opfer unter die Erde mit den Worten: „Perhaps some of the living have forgotten … but the dead remember!“ (komplette Geschichte online HIER).

Während im Comic „A Gravedigger´s Terror!” das Zahngold getöteter Häftlinge angesprochen wird, thematisieren andere Horror-Comics die unmenschlichen Experimente.

In „Terror of the Stolen Legs“ (in „Dark Mysteries“ #18, Master Comics, Juni 1954) spritzt Dr. Franz Burch in einem Linzer KZ ohne Erfolg Häftlingen ein Serum, das Tote wieder zum Leben erwecken soll. Als bei einem Opfer das Experiment gelingt, wird der Untote verscharrt. Doch Nacht für Nacht entsteigt das Skelett seinem Grab und sucht den Arzt heim (komplette Geschichte online HIER auf FIFTIES HORROR).

In „The Living-Dead” (in „Dark Mysteries“ #20, Master Comics, Okt. 1954) verirrt sich Ivor, Sohn des Nazi-Wissenschaftlers Dr. Klaus Blau, in ein Haus im Schwarzwald. Er verliebt sich in Vania, doch sie und weitere KZ-Überlebende hatte sein Vater für seine Experimente missbraucht.
Ein Serum sollte die blutleeren Opfer heilen, so wie später verblutete Soldaten. Aber Blau flüchtete vor der US-Armee und seine Opfer blieben als Zombies zurück. Um sterben zu können, holen sie sich jetzt das Blut Ivors, dem sein Vater das Serum gespritzt hatte (komplette Geschichte online HIER auf FIFTIES HORROR).

Comics als Zeitdokumente

Die Bezüge zu realen NS-Verbrechen in den Beispielen werfen die Frage auf, ob Comics an sich mehr als reine Unterhaltung sein können.

DeadRemember1990 plädierte der Historiker Michael Scholz in seinem Aufsatz „Comics – eine neue historische Quelle?“ für eine neue Perspektive: „Comics sind Produkte und somit Spiegel der Gesellschaft. [… ] Mit der Zurkenntnisnahme der Comics als historische Quelle erhält der Historiker interessantes Material zur Geschichte der Mentalitäten; sowohl ihr als auch den Comics wird in Zukunft mehr Aufmerksamkeit beizumessen sein.“ (S. 1008 und 1010)

Vier Jahre später stellte der Historiker und Geschichtsdidaktiker Hans-Jürgen Pandel in seinem Aufsatz „Comicliteratur und Geschichte“ in einer ersten Typologie für Geschichtscomics die Kategorie „Quellencomic“ vor:
„Der erste Typ ist der Comic als Quelle. Beim Quellencomic ist es nicht wichtig, ob der dargestellte Inhalt empirisch triftig ist oder nicht; verbürgt muss aber die Herkunft und Entstehungszeit sein. Quellencomics müssen Zeugen ihrer Zeit sein.
Im Grunde ist jeder Comic eine historische  Quelle für seine Zeit, da er immer auch die eigene Zeit verarbeitet, auch wenn er sich thematisch in noch so entlegene Zeiten und Räume begibt. Allerdings gibt es auch beim Comic wie bei historischen Quellen generell aussagekräftige und solche, die auch bei noch so kräftigem Pressen [wenig] hergeben.“ (1994, S. 22)

Nachfolgende Autor_innen nahmen den Gedanken auf und betonten, dass der Quellencharakter von Comics eine eigene, übergeordnete Dimension bildet, unabhängig von inhaltlichen (Geschichts-)Darstellungstypen (siehe Munier 2000, S. 107; Mounajed 2009, S.  46; Dolle-Weinkauff 2014, S. 30-31).

Aus der Sicht der Kommunikationswissenschaft stellt sich die diesbezügliche Beziehung zwischen Comics und Zeitgeschichte für mich wie folgt dar: Comics sind Produkte unserer Kultur und eingebunden in gesellschaftliche Prozesse. Comics greifen Themen der gesellschaftlichen Diskussion auf und verarbeiten sie – manche mehr und manche weniger direkt – manche anspruchsvoll und manche trivial. So oder so, sie sind Zeitdokumente. Sie wirken in die Gesellschaft hinein und spiegeln diese gleichzeitig.

Soweit die Theorie. Doch lässt sich die allgemeine Beobachtung durch die Betrachtung eines konkreten Falls stützen? Ausgangspunkt ist die Hypothese, dass sich von Fall zu Fall Darstellungen in Comics auf bedeutsame Ereignisse der Zeitgeschichte und gesellschaftliche Reaktionen zurückführen lassen.

Um die Hypothese auf Stichhaltigkeit zu überprüfen, werden

1. eine Auswahl an Darstellungen in Comics als Materialbasis bestimmt,

2. entsprechende Vorkommnisse sowie

3. Verbindungen der Comic-Macher_innen zu den Vorkommnissen gesucht, und

4. eine Erklärung des Vorgefundenen versucht.

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Darstellungen in Comics: Objekte aus Menschenhaut

Blickt man auf die US-Comics der 1950er Jahre zum Thema NS-Konzentrationslager, fallen Comics auf, deren Geschichten sich um Objekte aus Menschenhaut drehen oder diese zumindest ansprechen.

„Corpses of the Jury“ (in „Voodoo” #5, Skript/Zeichnung: Iger Shop, Ajax/Farrell, Jan. 1953, Reprint in „Tales of Voodoo” Vol. 2 #4, Eerie Publications, Sep. 1969) beginnt in einem KZ Anfang 1945: Colonel Karl Bucher holt ein Mädchen aus einer Gruppe, die in die Gaskammer gehen soll, und will sich an ihr vergehen. Sie wehrt sich und ein Untergebener macht aus der Haut ihrer Hände Handschuhe für Bucher. Als zwei Wachen das noch lebende Mädchen in die Leichengrube werfen, verflucht sie den Colonel.
Dieser flieht gegen Kriegsende über die Schweiz nach New York. Dort trägt er weiterhin die Handschuhe aus Menschenhaut und arbeitet an einer neuen Nazi-Partei unter seiner Führung. Eines Nachts erscheint der Geist des Mädchens und fordert die Haut zurück. Sie lässt Leichen in die Wohnung, die Bucher bei lebendigen Leib die Haut abziehen (komplette Geschichte online HIER).

In „The Tattooed Heart!“ (in „Beware Terror Tales“ #6, Zeichnung: Harry Harrison?, Fawcett, März 1953) steht Ludwig Stern (mit Herz-Tätowierung auf der Brust) vor Gericht, u.a. angeklagt wegen Lampenschirmen aus Menschenhaut. Der KZ-Kommandant erinnert sich: Bei einer Inspektion hatte er die Frau eines Häftlings mitgenommen und aus ihrer Haut einen weiteren Lampenschirm für seine Sammlung machen lassen. Ihr Mann wird erschossen und verflucht sterbend den Kommandanten.
Als die amerikanische Armee anrückt, verbrennt Stern seine Menschenhaut-Lampenschirme und flieht. Doch die Geister seiner Opfer treiben ihn zurück in die Arme der US-Armee. Der folgende Prozess endet dank gefälschter Beweise mit Freispruch. Stern kauft sich mit dem Geld, das er zur Seite geschafft hatte, ein Schloss. Dort erwarten ihn die Geister und nehmen Rache. Auf sein Schreien hin stürzen zwei Helfer ins Schloss. Ihnen fällt aber nichts auf, auch nicht der neue Lampenschirm aus Menschenhaut mit Herz-Tätowierung (komplette Geschichte online HIER).

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In „Out of the Grave” (in „Haunted Thrills” #11, Skript/Zeichnung: Iger Studios, Ajax/Farrell, Sep. 1953) tötet Colonel Eric von Grimm, Kommandant des italienischen Dorfes Basilo, eigenhändig Partisanen, während seine Frau Helga sich einen Lampenschirm aus Menschenhaut anfertigen lässt („That horrible Gretchen Smutcher has one, and I couldn´t let her get ahead of me!“).
Zu ihrem Bedauern prangt auf dem Lampenschirm eine Tätowierung. Das bringt Colonel von Grimm auf die Idee, im nahegelegenen Gefangenenlager einen jungen Mann zu erschießen und einen Schuhmacher aus dessen Haut neue Stiefel machen zu lassen. Der Schuhmacher erkennt anhand der tätowierten Gefangenennummer, dass es die Haut seines Sohnes ist. Er versieht die Stiefel mit explosiven Schnallen. Als ein General zu Besuch kommt, schlägt der Colonel in seinen neuen Stiefeln die Hacken zusammen und reißt alle Nazis ringsherum mit in den Tod (komplette Geschichte online HIER).

In „The Torture Master“ (in: „Men’s Adventures“ #24, Zeichnung: Russ Heath, Atlas, Nov. 1953) operiert Heinrich von Brenner, Kommandant des KZ Kesselwald, Häftlinge (ohne Narkose) und nimmt ihre Haut für Lampenschirme her. Als Heinrich Himmler auf der Suche nach einem Verräter zu Besuch kommt, gelingt es den Gefangenen, ihren Peiniger als US-amerikanischen Spion erscheinen zu lassen. Als tödliche Strafe wird er den Häftlingen überlassen (komplette Geschichte online HIER).

Im April 1955 folgte die Veröffentlichung der eingangs genannten Comic-Geschichte „Master Race“, die von Al Feldstein ursprünglich für „Crime SuspenStories“ #26 geschrieben und vom Zeichner Bernard Krigstein im April 1954 im EC Comics-Verlag abgeliefert worden war (siehe Sadowski 2002, S. 177 und 179).

Das Aufgreifen von Objekten aus Menschenhaut scheint als ein herausragendes Motiv geeignet zu sein, für die Suche nach zeitnahen Ereignissen und gesellschaftliche Reaktionen als mögliche Bezugsquelle. Und natürlich kommt einem gleich Ilse Koch in den Sinn, die Ehefrau des KZ Buchenwald-Kommandanten Karl Koch, die als die „Hexe von Buchenwald“ traurige Berühmtheit erlangte.

Ereignisse und gesellschaftliche Reaktionen: „Ilse Koch, die Lady mit dem Lampenschirm“ (N.N. 1950, S. 12)

So lautete 1950 die Überschrift eines Artikels über die sogenannte „Kommandeuse von Buchenwald“ im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ (N.N. 1950, S. 12-16, ganzer Artikel im Online-Archiv HIER), in Anlehnung an die angebliche Überschrift in einer Ausgabe des US-amerikanischen „Life“-Magazines. Der „Spiegel“-Artikel handelt u.a von der Befreiung des KZs Buchenwald durch die US-Armee. Mit den Soldaten kamen Kameramänner und Kriegsberichter der alliierten Presse und berichteten. „Die Geschichte der Ilse Koch, der ‚rothaarigen, grünäugigen Hexe von Buchenwald‘ rauscht durch die Weltpresse.

IlseKochDie Berichte enthalten das, was die Befreiten teils aus eigenem Erleben, teils von ‚allgemein im Lager bekannten Tatsachen‘ erzählt haben. Darunter auch, dass die Kommandeuse sich die Nummern von Häftlingen mit besonders prachtvollen Tätowierungen notierte, sie töten und ihre Tätowierungen zu Lampenschirmen, Buchhüllen, Photoalben und Handschuhen für sich verarbeiten ließ.“ (Ebd. S. 14.)

Ein US-amerikanischer Bildberichter versammelte zum Fotografieren „zwei nach Kopfjägermethode auf Faustgröße zusammengeschrumpfte Menschenköpfe, mehrere Stücke gegerbter tätowierter Menschenhaut und eine Tischlampe mit einem Pergamentschirm“ (ebd.) auf einem Tisch (Foto siehe unten rechts) – „Wenig später erscheint derselbe Lampenschirm in einem amerikanischen Dokumentarfilm und den Wochenschauen als der ‚Lampenschirm der Ilse Koch‘.“ (Ebd.)

(Die Bildgeschichte „Atrocity Story” zeigt „concentration camp atrocity“-Filmvorführungen im Comic-Heft “Battlefield” #2, Atlas, Juni 1952 (komplette Geschichte online HIER, jedoch muss man sehr weit herunterscrollen, besser Suchfunktion – Str/F oder Cmd/F – nach „Atrocity“ eingeben).

Der „Spiegel“-Artikel behandelt auch die Verhaftung des Ehepaars Koch 1943 durch die SS wegen Mord und Unterschlagung. Der Prozess endete mit Karl Kochs Hinrichtung und Ilse Kochs Freilassung aus Mangel an Beweisen. Im Juni 1945 wurde sie von den US-Streitkräften als potentielle Kriegsverbrecherin verhaftet und im Dachauer Buchenwald-Prozess von einer US-amerikanischen Militärkommission im August 1947 zu lebenslänglicher Haft verurteilt (vgl. „The Guilty: The butchers of Buchenwald hear the stern judgment of civilization” in „Life” vom 25. Aug. 1947, S. 39: „One of the charges against her stated that she ordered specific prisoners killed so that she could have their tattooed skins for lamp shades and gloves.” Komplettes LIFE-Magazin online unter Google-Books HIER einsehbar.

1948 wandelte General Clay, Kommandant der US-amerikanischen Besatzungsmacht, die Strafe in eine vierjährige Haft um. „Diese Meldung entfesselt in Amerika einen selbst für amerikanische Verhältnisse höllischen Skandal. Die Leitartikler der großen Zeitungen kennen nur noch ein Thema: Jeden Tag einen Koch-Artikel.“ (Ebd., S. 15. Vgl. „Why free Ilse Koch – Mistress of Buchenwald?” von William D. Denson, Robert Lowe Kunzig und James O’Donnell, in „Look” vom 4. Jan. 1949, S. 36-39) Demonstrationen und Boykotts sind die Folge.

„Als Clay für einige Tage in New York ist, fordern Hunderte ‚Ilse Koch‘-Plakatträger seine Absetzung. Ilse Koch ist zum Symbol Nazi-Deutschlands geworden. Als Walter Gieseking in New York ein Konzert geben will, tragen die Demonstranten vor der Carnegie-Hall Plakate: ‚Spielt Ilse Koch nächsten Sonnabend?‘ “ (Ebd.) „Der Spiegel“ zeigt ein Demonstrationsfoto mit dem Schild „How much for Ilse Koch’s lampshades?“ (Ebd., S. 16)

In ihrem Aufsatz „Der Bann eines Bildes. Ilse Koch, die ›Kommandeuse von Buchenwald‹“ zieht Alexandra Przyrembel das Fazit, „dass die Resonanz auf die Urteilsminderung in der amerikanischen Presse bis auf einige vereinzelte Stimmen vernichtend war“ und sich „Ilse Koch, die eine Vielzahl von Klischees über die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes zu bestätigen schien“ zur „neuralgischen Figur des amerikanischen Umgangs mit den Kriegsverbrechern“ entwickelt hatte (2002, S. 253).

HolocaustEin Unterausschuss des US-Kongresses kam zum Ergebnis: ‚Die Urteilsrevision war nicht gerechtfertigt …‘ (N.N. 1950, S. 16) Der „Spiegel“-Artikel endet mit der Freilassung Ilse Kochs aus US-Haft 1949 in erneute, diesmal westdeutsche Untersuchungshaft. Denn 1950 klagte der bayerische Staatsgerichthof sie beim Landgericht Augsburg an.
Im Januar 1951 wurde sie der Anstiftung zum Mord und Misshandlung an deutschen Gefangenen für schuldig befunden und zu lebenslanger Haft verurteilt (vgl. „Echo from Buchenwald: From her own people Ilse Koch gets life term” in „Life” vom 29. Jan. 1951, S. 38. Komplettes LIFE-Magazin online unter Google-Books HIER einsehbar.
Der Revisionsantrag ihres Anwalts wurde im April 1952 abgelehnt (siehe Whitlock 2011, S. 258).

„Jedesmal, wenn sie einen Antrag auf Freilassung – so z.B. bei der europäischen Kommission für Menschenrechte 1955 – stellte, wurde dies als störende Erinnerung an diese noch lebende Frau aufgefasst. Der geringste Hinweis auf eine mögliche Freilassung hatte immer eine Flut öffentlichen Protestes zur Folge.“ (Smith jr. 1983, S. 226).
Das letzte Gnadengesuch wurde im April 1967 abgelehnt. Die interne Begründung des Bayerischen Justizministeriums lautete: ‚Der Name der ‚Kommandeuse‘ Ilse Koch ist in der Weltöffentlichkeit untrennbar mit dem KZ-System verbunden. Es gibt daher keinen persönlichen Fall ‚Koch‘, sondern nur das Politikum ‚Koch‘. Das ist das Geschick dieser Frau.‘ (zitiert in Meier 2013, S. 122 und 132). Fünf Monate danach beging sie in ihrer Zelle Selbstmord.

Doch nicht nur Ilse Koch wurde zum Sinnbild unmenschlicher Grausamkeiten, sondern auch der Lampenschirm.
Alexandra Przyrembel: Der „mit Koch verbundene Lampenschirm“ symbolisierte „unmittelbar nach 1945 noch die in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern begangenen Verbrechen“ (2002, S. 264).
Und Harry Stein, Kustos der Gedenkstätte Buchenwald: „Die Erzählung vom Lampenschirm aus Menschenhaut war Bestandteil der Nachkriegserzählung und wurde von der Presse, besonders im Umfeld der zwei gegen Ilse Koch 1947 und 1950 geführten Prozesse, stark aufgegriffen. Obwohl man Frau Koch in dieser Hinsicht keine konkrete Schuld nachweisen konnte, blieb die Lampenschirm-Geschichte lange Jahre fester Bestandteil der Buchenwald-Erzählung (nicht nur in der DDR).“
Auf der Webseite der Gedenkstätte Buchenwald erzählt Kustos Dr. Stein die Geschichte des Lampenschirms, online HIER).

Arthur L. Smith jr. schließt seine Betrachtung des Ilse-Koch-Falls mit der Feststellung: „Es mag zwar ironisch anmuten, aber wenn General Clay das Urteil akzeptiert hätte, dann wäre sie zusammen mit den anderen Kriegsverbrechern von einem der Nachkriegsrevisionskomitees in den fünfziger Jahren freigesprochen worden. (37)
Bis Mai 1958 war jeder Gefangene, der von einem der US-Militärgerichte als Kriegsverbrecher verurteilt und in das Landsberger Gefängnis eingewiesen worden war, wieder in Freiheit!

Sogar Personen, die man für schuldig befunden hatte, Piloten der alliierten Streitkräfte getötet und Massenverbrechen in Konzentrationslagern begangen zu haben, wurden freigelassen. (38)“ (Smith 1983, S. 226-227, Fußnote 37: John Mendelsohn, „From Prosecution to Clemency for War Criminals“. Unveröffentlichter Vortrag auf dem Kongress der American Historical Association. San Francisco 1979, S. 26ff.; Fußnote 38: A.a.O., S. 28-29). Dazu gehörten auch SS-Männer, die das US-Militärgericht in Dachau gemeinsam mit Ilse Koch – u.a. zum Tode – verurteilt hatte (siehe Meier 2013, S. 132-133).

Comicproduzent_innen unter dem Einfluss des Zeitgeschehens:

„Many Americans began to discuss the unspeakable crimes of the Holocaust, but most found it all too hard to believe.” (Jukovsky 1988)

Leider kann man die Herausgeber_innen, Zeichner_innen und Autor_innen der vorgestellten Comics nicht mehr persönlich dazu befragen, wie und was sie von den Berichten über die NS-Konzentrationslager, den Fall Ilse Koch und die Objekte aus Menschenhaut mitbekommen haben, wie sie dazu standen und ob bzw. was sie mit ihren diesbezüglichen Comics ausdrücken oder gar bewirken wollten. Vielleicht ging es auch nur darum, die aktuelle Sensationslust an dem Thema als Kaufanreiz auszunutzen? Doch selbst dann wären die Comics ein Spiegel der Gesellschaft und Zeitdokument.

GefangeneDer Comic-Historiker Martin Jukovsky schrieb: „Many Americans began to discuss the unspeakable crimes of the Holocaust, but most found it all too hard to believe.
‚Master Race‘ was therefore an exceptional undertaking. […] American Jews were most conscious of what the Nazis had done, and it is perhaps no coincidence that the artist, editor, and publisher involved in ‚Master Race‘ were all Jews. […] Obviously, the creators of ‚Master Race‘ were reading the newspapers very closely (and personally) in the aftermath of the Holocaust in the late Forties.“ (1988. Jukovsksys Artikel ist online HIER einzusehen).

Doch das ist eine Information aus „zweiter Hand“. Gehaltvoller wären persönliche Aussagen und biographische Bezüge. Zeichner Bernard Krigstein etwa war im Mai 1943 von der US Armee eingezogen worden, behauptete sich während der Grundausbildung gegen antisemitische Bemerkungen eines anderen Rekruten und kam über England an die Front in Frankreich, Luxemburg, Belgien und Deutschland (siehe Sadowski 2002, S. 27-61).
Wer solche Erfahrungen macht, hat sich vermutlich auch nach dem Krieg für das Thema Kriegsverbrecher_innen interessiert. Zumindest sein Bild der KZ-Gefangenen hinter Stacheldraht in „Master Race“ (vierte Seite Mitte rechts, auch weiter oben zu sehen, bitte hinaufscrollen) hatte eindeutig ein Foto nach der Befreiung des KZ Ebensee in Österreich zur Vorlage (siehe nebenstehend).

1972 fand eine „EC Fan-Addict Convention“ mit drei Gesprächsrunden statt, bei denen EC Comics-Fans dem Verleger Bill Gaines und ehemaligen Mitarbeiter_innen Fragen stellen konnten: „The Horror Panel“ am Nachmittag und „The War Panel“ am Abend des 27. Mai sowie „The Science Fiction Panel“ am Nachmittag des 28. Mai 1972 (Benson u.a. 1978, S. 21-44).
Auf dem „Horror Panel“ erzählte Al Feldstein (Zeichner, Autor und Redakteur), dass einige Comics gezielt gesellschaftspolitische Botschaften enthielten:

Question: I just wanted to congratulate you on doing stories on race and religion. You were the first comics to do that.
Gaines: Yes, I think in these days that´s called ‚relevance’.
Question: Where did you get the ideas for them? And what was the reaction?
Feldstein: Being socially conscious is not relegated only to today’s times. We came out of World War II, and we all had great hopes for the marvelous world of tomorrow. And when we started writing our comics, I guess one of the things that was in the back of our minds was to do a little proselytizing in terms of social conscience. So Bill and I would try to include, mainly in our science fiction, but I think we did it in the horror books too, what we called ‚preachy’ stories – our own term for a story that had some sort of a plea to improve our social standards. As far as the reaction was concerned, we never had any problems with them, and they were well received. And they did what we wanted them to do.” (Ebd., S. 22)

Im „War Panel“ sagte Harvey Kurtzman (Zeichner, Autor und Redakteur) über die EC Kriegscomics: „All our stories really protested war.“ (ebd., S. 31), und nannte das Magazin „Life“ als eine seiner Bildquellen (ebd. S. 36). Und Verleger Bill Gaines erklärte im „Science Fiction Panel”: „[…] science fiction traditionally has been a great vehicle for an author to try to teach a moral or ethical lesson, and we certainly were doing that throughout the entire history of  EC’s science fiction stuff.”  (Ebd., S. 37)

Das sind zwar nur indirekte Hinweise, die aber immerhin in eine gewisse Richtung deuten. Demnach könnte „Master Race“ eine „preachy story“, d.h. mehr als bloße Unterhaltung gewesen sein sollen. Vielleicht gibt es noch das eine oder andere Interview mit Bernard Krigstein und Al Feldstein, dass hier für mehr Klarheit und Eindeutigkeit sorgen kann?

MasterRace3

Mehr als bloße Comic-Unterhaltung? Bilderreihe aus Krigsteins „Master Race“

Und wie verhält es sich bei den Beteiligten der anderen Comic-Geschichten um/mit Menschenhaut-Objekten?

Die Comic-Macher_innen haben die Objekte aus Menschenhaut in ihre Geschichten eingebaut oder ihre Geschichten um die Objekte herum aufgebaut. Sie mussten also vorher von diesen erfahren haben. Um hier Licht ins Dunkel der Verbindungen zu bringen, bitte ich die Leser_innen von FIFTIES HORROR um Unterstützung.
Wer kennt diesbezügliche Aussagen der Herausgeber_innen, Autor_innen und Zeichner_innen der betreffenden Comics
und kann die Fundstellen nennen? Bedauerlicherweise konzentrieren sich die Interviews, die ich bisher gefunden habe, auf Erzähl- und Zeichentechniken, und ignorieren den zeitgeschichtlichen Hintergrund und die gesellschaftspolitische Bedeutung der NS-Konzentrationslager-Geschichten.
Und kennt jemand vielleicht Zitate aus Leser_innen-Briefe oder Presse-Berichte, die Effekte auf die Rezipient_innen schildern?

Zwischenbilanz:


Dass Nazi-Verbrecher_innen ihre „gerechte“ Strafe bekommen –
sogar wenn die getöteten Opfer dafür selbst sorgen müssen –
ist das gemeinsame Sujet der oben vorgestellten US-Comics.
Doch warum wurde dieses Sujet in der frühen Nachkriegszeit überwiegend als Horror-Comic umgesetzt?

Eine mögliche Antwort stellt Hans D. Baumann in seinem Buch „Horror. Die Lust am Grauen“ vor: „Beim Horror geht es darum, das Grauen in fiktionaler Weise aufzubereiten, um es partiell genießbar zu machen.“ (Baumann 1989, S. 217)

Er betrachtet die Faszination von Horror-Filmen aus psychoanalytischer Perspektive und kommt zu Erklärungen, die für alle Horror-Werke gelten können bzw. sollen. „Horror wirkt durch die Erzeugung des mittelbaren Grauens. Stellvertretend für uns, die Rezipienten, werden die Protagonisten in entsetzliche Situationen gehetzt, und die Gefühle, welche die Produzenten dabei in ihnen aufsteigen lassen, übertragen sich auf uns, während wir ihren fiktionalen Erlebnissen zusehen oder darüber lesen.“ (Ebd, S. 285)

„Es mag uns noch so bewusst sein, aus welchen urtümlichen Winkeln unseres Geistes wir den erleichterten Beifall vernehmen, wenn das Monster endlich zur Strecke gebracht worden ist – wir kommen um ein Aufatmen nicht herum, wenn die Bedrohung gebannt ist; endgültig, […]. Das gelingt freilich nur, wenn wir uns mit den ‚Richtigen‘ identifizieren. […] Es sind die, die im ersten Teil als Opfer leiden müssen, um im zweiten Teil unserer Anteilnahme als Täter gewiss sein zu dürfen. Damit wir ihren Triumph am Ende teilen können, müssen sie am Anfang stellvertretend für uns dem Grauen gegenübertreten.“ (Ebd., S. 137)

CorpsesJury

Das Grauen in bunten Bildchen. Die gefolterte Frau wird zum Sterben in die Leichengrube geworfen. Bildfolge aus „Out of the Grave“.

Horror-Werke können dabei dort mit einer Kritik am Bestehenden ansetzen, „wo es nicht so sehr um die Monster geht, welche von Wissenschaft und Technik hervorgebracht werden, sondern um das brüchige Weltbild überhaupt.“ (Ebd., S. 216) Im vorliegenden Fall entsteht ein Bruch durch die reale Grausamkeit der NS-Kriegsverbrecher_innen, in einigen Comics symbolisiert  durch Objekte aus Menschenhaut und erst durch die Überzeichnung als Fiktion zu ertragen.

Ein Riss in der Alltagswirklichkeit (ebd., S. 77) entsteht aber auch durch die ausbleibende strafende Gerechtigkeit, sei es aufgrund von Flucht, Spurenverwischung oder der Strafreduzierung und –Verschonung, d.h unter Umständen „mit Billigung (oder gar auf Veranlassung) des Staates“ (ebd., S. 151).

Daraus ergibt sich eine inhaltliche Aufgabe für Horror-Werke: „Ziel ist die  Wiederherstellung des Ausgleichs, die böse Tat verlangt nach Sühne, das Prinzip funktioniert nach der alttestamentarischen Auge-um-Auge-Regelung.“ (Ebd., S. 278) Zu diesem Zweck kann es nötig sein, dass die rächenden Kräfte aus dem Reich des Übernatürlichen kommen oder wirken, denn „der Horror vertraut jedenfalls nicht auf die staatlichen Institutionen des Rechts, die auf unterschiedliche Weise ihre Unfähigkeit oder Korrumpierbarkeit offenbaren“ (ebd., S. 278-279).

Mit anderen Worten, wenn in der Wirklichkeit die Gerechtigkeit versagt, dann biegen Horror-Werke im Fall der Fälle die Moral wieder gerade und bringen Macher_innen und Rezipient_innen seelische Erleichterung. Das ist nur eine von verschiedenen möglichen, bewusst oder unbewusst wahrgenommenen Funktionen und Wirkungen, wegen derer Horror-Werke geschaffen und rezipiert werden (vgl. ebd., S. 13-15).

Eine andere wäre, dass Comic-Figuren stellvertretend in der Fiktion Aggressionen ausleben, die in der realen Gesellschaft geächtet sind und sanktioniert werden. Daher schließt Hans D.  Baumann nicht aus, dass „der Darstellung des Grauenvollen die reinigende Wirkung der Katharsis zukommen kann“ (ebd., S. 111).

So oder so, „vorrangige Aufgabe des Horrors ist nicht das Umschiffen oder Brechen von Tabus, sondern das Erzeugen mittelbaren Grauens – im günstigsten Fall mit dem Effekt, durch diese Vorführung leichter  mit den eigenen Ängsten umgehen zu können“ (ebd., S. 234).

Das (vorübergehende) Ende der Horror-Comics

Die EC-Horror-Comics erschienen ab 1950 und waren Pioniere in ihrem Genre: „Zur damaligen Zeit gab es im Comic-Bereich keine Horror-Geschichten, die diesen Namen auch verdient hätten. Feldstein und Gaines etablierten nach den von anderen Verlagen erfolgreich initiierten Genres Crime, Western, und Romance einen neuen Trend, […].“ (Langhans 2015, S. 6)

Doch sie führten auch zum (vorübergehenden) Ende des Horror-Genres: „1954 geriet EC unter Beschuss, zum einen durch Fredric Werthams Buch Seduction of the Innocent, das einen Zusammenhang zwischen gewalttätigen Comic-Storys und Jugendkriminalität herstellte und durch zahlreiche EC-Panels illustrierte, zum anderen durch die Saubermannkampagne des auf die Präsidentschaft erpichten Senators Estes Kefauver, welche die Einführung des selbstzensierenden Comics Code zur Folge hatte.“ (Ebd. S. 9-10)

Vertiefungsartikel zu „Seduction of the Innocent“ unter DIESEM LINK auf FIFTIES HORROR.

Am 7. Sep. 1954 schlossen sich Comic-Verleger zur „Comics Magazine Association of America“ (CMAA) zusammen, um dem Druck der Politik und Öffentlichkeit nachzugeben und staatlichen Maßnahmen zuvorzukommen. In ihrem Auftrag leitete der Richter Charles F. Murphy eine „Comics Code Authority“ (CCA), die Comics vor deren Veröffentlichung auf ihre Jugendtauglichkeit hin überprüfte, anhand der selbstentwickelten Comic-Code-Regeln von Fall zu Fall Zensur-Maßnahmen zur Bedingung machte und am Ende das Werk mit einem briefmarkenähnlichem Prüfsiegel („Approved by the Comics Code Authority“) freigab. (Siehe Nyberg 1998, S. 110-111). Und ohne Prüfsiegel wurden die Comics in der Regel vom Zeitschriftenhandel nicht mehr verkauft (siehe ebd., S. 127).

Vor allem den Genres „Crime“ („General Standards Part A“) und „Horror“ („General Standards Part B“) wurden Bedingungen zur Auflage gemacht, die eine Fortsetzung der Crime- und Horror-Comics im Grunde unmöglich machte, sofern Verleger das Prüfsiegel bekommen wollten (siehe „Comics Code 1954“ in: Ebd., S. 166-169). Ein Beispiel: „All scenes of horror, excessive bloodshed, gory or gruesome crimes, depravity, lust, sadism, masochism shall not be permitted.“ (Ebd., S. 167)

In ihrem „comicbookattic“-Weblog vergleichen Paul Tumey und Frank Young die oben erwähnte Comic-Geschichte „Out of the Grave“ mit dessen Nachdruck „Fair Exchange“ (in: Strange #5, Ajax/Farrell, Jan. 1958) und dokumentieren die grotesken Änderungen, die vorgenommen wurden, um das Comic-Code-Siegel zu bekommen (online HIER zu sehen, unten eine Seite im Vergleich als „teaser“).

OutOfGrave

Die oben genannte Comics-Code-Regel blieb zwar wie viele weitere bis 1989 bestehen, doch änderte sich mit den Jahren die Auslegung.

1978 erschien die Horror-Comic-Geschichte „Gypsy Shade” (in: „The House of Mystery” #261, Skript: Arnold Drake, Zeichnung: Jess Jodloman, DC Comics, Okt. 1978) über Anna Klein, die Witwe des Kommandanten des KZs Blucher, das von der US-Armee befreit wurde. 30 Jahre nach Kriegsende sitzt die verwitwete US-Immigrantin als Angeklagte vor Gericht. Zeug_innen berichten, wie sie dem Appellstehen der Häftlinge zusah, sich an deren Goldzähnen und Schmuck bereicherte und den tätowierten Roma Tonio verschwinden ließ.

GypsyShade

Ilse-Koch-Wiedergängerin Anna Klein ereilt die strafende Gerechtigkeit, als die Tätowierungen auf dem Lampenschirm aus Menschenhaut lebendig werden! Seite aus „Gypsy Shade“.

Die Aussagen als Hörensagen und Gerüchte abtuend, erreicht Anna Klein einen Freispruch. Zuhause geht sie zur Tischlampe, die das geraubte Gold enthält.
Im Schein des Lampenschirms erscheinen die Tätowierungen des Roma an der Wand, werden lebendig und treiben Anna Klein in den Tod.
Ihr Nachbar findet sie auf dem Boden liegend. Auf dem Arm trägt sie eine vorher nicht vorhanden gewesene KZ-Häftlingsnummer, die im Panel davor auch auf dem Lampenschirm zu sehen ist. Ihr Nachbar: „I’ll bet when we check out that number, we’ll find it belonged to … Tonio!“.

In „Stolen Skin” (in: „Weird War Tales“ #105, Script: Robert Kanigher, Zeichnung: Ruben Yandoc, DC Comics, Nov. 1981) von 1981 wurden dann die Dinge im Bild gezeigt und wieder beim Namen genannt: Adolf Hitler sei stolz auf die tägliche Quote an vergasten Juden, lässt Heinrich Himmler den KZ-Kommandanten Hans Ulrich wissen. Der fragt sich, angesichts der nahenden US-Armee, vor den genannten Objekten stehend: „How can I explain the lampshades made of human skin? … The hair of jewish women used to stuff mattresses? … Gold teeth to be melted into bullion to support the war effort?”

Der SS-Arzt transplantiert ihm das Gesicht eines prominenten jüdischen Häftlings und tätowiert ihm dessen Häftlingsnummer. Mit dieser Identität wird er nach dem Krieg Nazi-Jäger und behauptet, dem Mossad bei der Entführung Adolf Eichmanns geholfen zu haben. Er kommt nach Brasilien, angeblich auf der Spur nach Josef Mengele, doch tatsächlich will er, noch immer Nazi, zu seinen Gesinnungsgenossen. Die entführen ihn, den jüdischen Nazi-Jäger, in ein KZ im Urwald. Er stirbt in der Gaskammer und am Schluss steht ein Lampenschirm aus seiner Haut samt der Häftlingsnummer im Zimmer eines Nazis, der Adolf Hitler gleicht (komplette Geschichte online HIER einzusehen).
Anm. von FIFTIES HORROR: Wobei mir übel aufstößt, dass der flotte 70er Jahre-Look des Artworks das Thema zu verharmlosen, wenn nicht gar zu diskreditieren scheint, man beachte den hippie-artig frisierten Hitler
.

 

Fazit

Die Thematisierung von NS-Konzentrationslagern und Objekten aus Menschenhaut in US-Comics der 1950er Jahre, das öffentliche Aufsehen in den USA bis hin zu Demonstrationen betreffs des Falls Ilse Koch und die psychoanalytische Betrachtung von Horror-Werken auf mögliche, wenngleich unbewiesene Effekte hin, ergeben ein stimmiges Gesamtbild von Comics als Spiegel der Gesellschaft bzw. als Zeitdokument, das jedoch, solange die Verbindungen der (Horror-)Comic-Macher_innen zu den Vorkommnissen sowie ihre Einstellungen und Absichten nicht aufgedeckt sind, noch keine ausreichende Stichhaltigkeit aufweist.

Nichtsdestotrotz kann das der Betrachtung zugrunde gelegte Modell dazu dienen, weitere Fälle durchzuspielen, um bei besser dokumentierten Verbindungen die Eigenschaft von Comics als historische Quellen überzeugend aufzuzeigen.

(Grundlage des Aufsatzes ist der Vortrag „Comics and the Processing of current History”, gehalten am 2. Okt. 2015 auf der Tagung „Comics and Satire – Cultural History Records & Cultural Heritage?” an der Uppsala University – Campus Gotland, Visby. Hervorhebungen im Text durch FIFTIES HORROR.)

Einen ausführlichen Überblick über „Early Representations of Concentration Camps in Golden Age Comic Books“ wird Markus Streb in einer der nächsten Ausgaben des Online-Magazin „Scandinavian Journal of Comic Art“ (SjoCA) bieten. An dieser Stelle ihm, Tillmann Courth von FIFTIES HORROR und Merle Koch herzlichen Dank für viele Hinweise.

Nachtrag Januar 2017:
Der erwähnte Artikel von Markus Streb ist nun online einsehbar. Klicken Sie HIER, es öffnet sich ein PFD-Viewer.

 

Zur Person: Ralf Palandt

M.A. in Kommunikationswissenschaft, ist Gründungsmitglied der Gesellschaft für Comicforschung (ComFor, Internetpräsenz HIER zu finden) und gehört der Fachgruppe Visuelle Kommunikation der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich politischer Comics.
Palandt ist Herausgeber des Standardwerks “Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitusmus in Comics”.

 

Literatur

Foto 1: Ilse Koch,  (As a work of the U.S. federal government, the image is in the public domain.)

Foto 2: Buchenwald Human Remains,  (As a work of the U.S. federal government, the image is in the public domain.)

Foto 3: Ebensee concentration camp prisoners 1945,  (As a work of the U.S. federal government, the image is in the public domain.)

 

Baumann, Hans D.: „Horror. Die Lust am Grauen“. Psychologie heute: Sachbuch. Weinheim, Basel: Beltz Verlag, 1989.

Benson, John u.a.: „The Transcripts: 1972 EC Convention”, in: „Squa Tront” #8 von 1978. Hrsg. John Benson. N.Y. „The Horror Panel“ S. 21-30, „The War Panel“ S. 31-36, „The Science Fiction Panel“ S. 37-44.

Dolle-Weinkauff, Bernd: „Was ist ein ‚Geschichtscomic‘?“, in: „Comparativ“ Heft 3: „Verflochtene Vergangenheiten: Geschichtscomics in  Europa, Asien und Amerika“. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2014, S. 29-46.

Jukovsky, Martin: „ ‚Master Race’ and the Holocaust”, in: „Impact Reprint”. West Plains/Missouri: Russ Cochran, 1988.

Langhans, Heiko: „Die EC-Story. Klassiker wider Willen“, in: „Comic Reddition. Zeitschrift für Graphische Literatur“ #62. Barmstedt: Verlag Volker Hamann / Edition Alfons, 2015, S. 4-10.

Meier, André: „Ilse Koch – Die Hexe von Buchenwald“, in: „Geschichte Mitteldeutschlands. Von Herrschern, Hexen und Spionen“. Dresden: Sandstein Verlag, 2013, S. 120-33.

Mounajed, René: „Geschichte in Sequenzen“. Frankfurt a.M.: Peter Lang Verlag, 2009.

Munier, Gerald: „Geschichte in Comics“. Hannover: Unser Verlag, 2000.

N.N.: „Ilse Koch, die Lady mit dem Lampenschirm“, in: „Der Spiegel“ Heft #7 vom 16. Feb. 1950, S. 12-16.

Nyberg, Amy Kiste: „Seal of Approval. The History of the Comic Code”. Jackson/MS: University Press of Mississippi, 1998.

Pandel, Hans-Jürgen: „Comicliteratur und Geschichte“, in: „Geschichte lernen“ #37. Velber: Friedrich Verlag, Jan. 1994, S. 18-26.

Przyrembel, Alexandra: „Der Bann eines Bildes. Ilse Koch, die ›Kommandeuse von Buchenwald‹“, in: „Gedächtnis und Geschlecht. Deutungsmuster in Darstellungen des nationalsozialistischen Genozids“. Frankfurt a.M.: Campus Verlag, 2002, S. 245-267.

Sadowski, Greg: „B.Krigstein. Volume One (1919-1955)“. Seattle/Wa.: Fantagraphics Books, 2002.

Schaffer, Bernhard: „Adolf und die Propaganda. Das Dritte Reich im Spiegel der Zeitungscomics Amerikas“. Wien: Edition Comic Forum, 1994.

Scholz, Michael: „Comics – eine neue historische Quelle?“, in: „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“ Heft 1. Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1990, S. 1004-1010.

Smith jr., Arthur L.: „Die ‚Hexe von Buchenwald‘. Der Fall Ilse Koch“. Köln: Böhlau Verlag, 1983.

Stein, Harry: „Stimmt es, dass die SS im KZ Buchenwald Lampenschirme aus Menschenhaut anfertigen ließ?“, ohne Datum.

Tumey, Paul; Young, Frank: „The Insanity of Censorship – Ruth Roche and The Comics Code in the 1950s”, vom 11. Feb. 2011.

Whitlock, Flint: „The Beasts of  Buchenwald“. Brule/Wisconsin: Cable Publ., 2011.

 


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3 Gedanken zu „NS-Konzentrationslager im Horrorcomic der 1950er Jahre – ein Zeitdokument?

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  3. Dr. Georg R. Gfäller

    Herzlichen Dank an Herrn Palandt für diese ausführliche Darstellung!
    Um zur psychoanalytischen Deutung ausreichend etwas sagen zu können müsste ich mich ganz ausführlich mit den Bildern samt ihren bebilderten und textlichen Kontexten befassen, sie vielleicht in ausgewählten Gruppenkontexten tiefenhermeneutisch analysieren.
    Dennoch eine vorsichtige Hypothese: Der englische psychoanalytische Begriff des „thrills“ könnte vielleicht verwendet werden, eine gruslige, Angstlust machende wechselnde Identifikation mit Tätern und Opfern samt heimlichem Voyeurismus im Zusehen des grausamen Geschehens.
    Man kann in die Täter eigene völlig abgewehrte sadistische Impulse hineinprojiezieren, in die Opfer ebenso abgewehrte masochistische Tendenzen – das bin nicht ich, so sind die anderen. Und unbewusst, das macht den Thrill, bin ich es doch.
    Aber, wie gesagt, dazu müsste man sich tiefer mit diesen Comics befassen, um solche Hypothesen zu verifizieren oder zu falsifizieren. Das „Glück der späten Geburt“ ermöglicht eine zeitliche Verschiebung, das Dargestellte war damals und keinesfalls heute und jetzt mit meiner Beteiligung, die sich in meinen Regungen beim Betrachten dann doch nagend bemerkbar machen könnte.
    Dass Comics wie auch alle Kunst immer auch im Zusammenhang mit gegebenen gesellschaftlichen Zusammenhängen stehen, kann jeder Soziologe bestätigen, auch dann, wenn Künstler sich von diesen Umständen distanzieren.

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