(aus “Das Monster von Frankenstein” Nr. 5, Mai 1974, Williams-Verlag)
Im hinteren Heftteil enthält dieser Comic den Nachdruck von Al Lusters „Don’t Ever Gyp A Gypsy“ aus MYSTERY TALES Nr. 14 vom August 1953, Atlas Comics.
Ein Gangsterpärchen überfällt eine Wahrsagerin. Die jedoch verfügt über Unsterblichkeit, die sie zu verkaufen bereit ist. Ein Handel wird gemacht, ein Zaubertrank angerührt und verabreicht – doch es kommt zu Komplikationen…
Willkommen zum Schluss unserer zweiten „Deutschen Wochen“ und (neben „Sie warten im Kerker”) einer weiteren Geschichte, die von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert wurde. Weshalb? Tja, Herrschaften, Volksverhetzung.
Denn die Wahrsagerin wird als „Zigeunerin“ dargestellt. Und zwar noch obendrauf als eine „vor Hässlichkeit strotzende“ (alle Zitate hier und im Folgenden von der BPS).
„Diese Negativzeichnung der Zigeunerin in Verbindung mit dem Merkspruch ‚Achtung, Zigeuner haben den bösen Blick!‘ (S. 22) stellt eine Diskriminierung der Volksgruppe der Zigeuner dar und stachelt damit zum Rassenhass auf“.
Was meinen Sie, liebe Leser?
Also, ich find die Geschichte toll. Dichter und irrer kann man eine Gruselmär nicht erzählen. Muss wohl ein irrer Dichter gewesen sein.
Alle drei Figuren sind überzeichnete Abziehbilder, die Gewalt explodiert äußerst plakativ, es geht nur um Geld, ist doch herrlich!
Ich hab da auch nix Fremdenfeindliches drin gesehen. Es ist die Standard-Comic-Hexe. Die sieht immer so aus. Über den Migrationshintergund dieser Schaustellerin habe ich mir keine Gedanken gemacht.
Zur Entstehungszeit von „Don’t Ever Gyp A Gypsy“ herrschte in den USA noch Rassentrennung zwischen Schwarzen und Weißen! Heute ist man zu Recht so sensibel, sämtliche „Zigeuner“-Bezüge tilgen zu wollen.
Einerseits beruhigend, dass die Bundesprüfstelle schon 1974 den Finger auf die Unkorrektheiten legt. Gewarnt durch die Untaten der Nazi-Zeit will man aufkommender Fremdenfeindlichkeit einen Riegel vorschieben. Absolut daneben ist die Textblase „Achtung, Zigeuner haben den bösen Blick“. Keine Frage.
Andererseits bestürzend, dass die Behörde völlig verpeilt, dass diese Parabel nicht im Mindesten realistisch sein will. Denn neben der Aufstachelung zum Rassenhass stapelt die BPS noch weitere Vorwürfe auf: „Der jugendgefährdende Charakter dieser Mord-Story liegt nicht nur in dem fast beiläufigen Rauben und Morden des Slade, sondern in der sozial-ethischen Begriffsverwirrung, die der Moral dieser Geschichte zugrunde liegt. Die Strafe ereilt den Verbrecher nicht etwa wegen seiner Greueltaten (Rauben und Morden), sondern weil seine Freundin die Zigeunerin um die Hälfte des Geldes betrogen hat. Diese Moral verkehrt alle Werte von Menschlichkeit und Gerechtigkeit ins Gegenteil“.
Hör ich da Kanonen, die auf Spatzen schießen? Hat da der Kanonier über dem Geknalle nicht den Schuss gehört? Meint: die Pointe nicht verstanden? Die lautet nämlich: Halbes Geld = halbe Unsterblichkeit = Leben als Skelett.
Die hier dargestellte Welt verkehrt nicht moralische Werte ins Gegenteil, sondern hat diese nie besessen. „Begaunere keinen Zigeuner!“ ist das spinnerte Konstrukt einer Gangsterfantasie. Kein Leser wird erwägen, sich zu verhalten wie einer der drei Charaktere. Halt: Streiche „Charaktere“, ersetze durch „Knallchargen“.
Fazit: Nicht alle Menschen sind ironiefähig. “Das Monster von Frankenstein” Nr. 5 kam auf den Index und durfte 30 Jahre lang nicht weiter verkauft, nachgedruckt oder sonstwie veröffentlicht werden.