Die Frage erscheint überflüssig, ist jedoch durchaus angebracht. Es geht um Trennschärfe. Betrachten wir nur einmal die Hefttitel: „Adventures Into Terror“ klingt nach einem Gruselheft, ebenso „Dark Mysteries“, „Haunted Thrills“ oder „Journey Into Fear“. Wie verhält es sich aber bei „Aventures Into The Unknown“? Ist „Black Cat Mystery“ ein Horrorcomic? Worunter fallen die „Tales Of The Unexpected“? Der Titel allein markiert nicht unbedingt das Genre.
Zudem gibt es einige „Hybridhefte“, die Horror mit Science Fiction (s. Abb. rechts), mit Humor oder mit Gangstergeschichten vermischen. Die Verleger haben auch immer mal wieder mit Inhalten experimentiert und zum Beispiel eine Gruselstory in ein gruselfremdes Heft gepackt.
Dies waren Testballons für die Nachfrage bei der Leserschaft. Als Horrorcomic können wir ein Heft bezeichnen, deren Geschichten erstens auf einen gewissen Gänsehaut-Effekt aus sind, die zweitens übernatürlichen Phänomenen oder dem Bösen im Menschen verpflichtet sind, und die drittens nicht anderen Genres zugerechnet werden können (hauptsächlich Verbrechen, Science Fiction und Humor).
„Crime“-Comics waren ein Riesending schon in den 40er Jahren. Besonders brutale oder entgrenzende Handlungen werden ab und zu dem Horrorgenre angekreidet.
Warum die 50er Jahre?
Das Genre der Gruselcomics entsteht erst Ende der 40er Jahre. Im Jahr 1947 landet der Gruseltitel „Eerie“ am Kiosk – ein einmaliger Versuch und seiner Zeit offenbar voraus. 1948 legt die American Comics Group die Serie „Adventures Into The Unknown“ auf. Diese Reihe läuft durch bis zum Jahr 1967 und bringt es auf 174 Ausgaben.
Atlas, der heutige Marvel-Verlag, zieht 1949 nach: die „Amazing Mysteries“ bleiben ein kurzlebiger Versuch, erst 1950 steigt Atlas groß ein und veröffentlicht im Laufe von nur vier Jahren sage und schreibe 13 (!) nennenswerte Horrorserien (von ein paar weiteren Experimenten mal ganz abgesehen…).
Im Jahre 1950 setzt der Goldrausch ein. Gleich sieben Verlage starten Gruselserien, auf dem Höhepunkt 1953/54 tummeln sich ca. zwei Dutzend Herausgeber mit über 100 Titeln an den Kiosken. Die Comics erscheinen monatlich oder zwei-monatlich, manche Verleger wechseln diesen Rhythmus auch munter hin und her. Sammler beziffern die Zahl der produzierten Hefte mit etwa 1.500.
Was bedeutet „pre-Code“?
Der sogenannte „Comics Code“ ist eine Wegmarke, eine Markierung in Davor und Danach. Man spricht von „pre-Code“ und „post-Code“. Der Code ist die freiwillige Selbstkontrolle, die Hauszensur der Comicverleger. Sie reagiert auf die empörte Öffentlichkeit, die diesen „Schund“ nicht mehr an „Kinder“ verkauft sehen will und tritt zum Jahreswechsel 1954/55 in Kraft.
Der Code verbietet die Benutzung von Reizworten („Horror“ und „Terror“, auch der Begriff „Crime“ darf nicht mehr groß ausgestellt werden) und Darstellung von Gewalt. Fast alle Gruselheftserien werden eingestellt, ein paar wenige schleppen sich „code-approved“ noch ein halbes Jahr über die Runden. Ab dem Jahr 1955 pappt ein briefmarkengroßes Siegel prominent oben rechts auf allen Comictiteln.
Das Verlagshaus von „Superman“, DC, setzt ihr „House of Mystery“ fort, und den längsten Atem beweist Marktführer Atlas, der gleich neun Serien erfolgreich ummodelt.
Dank des Comics Code kennen wir einen klaren Endpunkt: die „pre-Code-Horrorcomics der 50er Jahre“ sind ein handlich definiertes Fachgebiet.
Weshalb US-amerikanische Ware?
Die (übrigens meist in New York ansässigen) US-amerikanischen Verleger waren die ersten, die besten, die eifrigsten. Comics gelten nicht zu Unrecht als DIE ureigene Kunstform der USA.
Erwähnenswerte Ausnahme ist der kanadische SUPERIOR-Verlag, der 53 pre-code-Horrorhefte beisteuerte. Deren Inhalte allerdings wurden von Zeichenstudios in den USA bestückt.
Was ist „EC“?
Immer wieder werden Sie bei der Lektüre über die Initialen „EC“ stolpern. Gemeint ist damit der Verlag „Entertaining Comics“. Ursprünglich stand EC einst für „Educational Comics“ (wer Interesse an der genaueren Geschichte hat, lese die separate Abhandlung über die EC Comics).
EC ist ein kleines, aber feines Haus. 1950 ruft das Management den „new trend“ aus. Sie wollen ihren Lesern die besten Geschichten illustriert von den besten Zeichnern bieten.
Eine Qualitätsoffensive, die tatsächlich gelingt.
EC steigt mit drei Serien in den Gruselmarkt ein: TALES FROM THE CRYPT, VAULT OF HORROR und HAUNT OF FEAR. EC zahlt die besten Gehälter in der Branche und behandelt seine Künstler wie Stars.
Johnny Craig, Graham Ingels, Jack Davis, Al Feldstein, Wallace Wood und Harvey Kurtzman werden zu Giganten der Comicszene. Eine internationale Fangemeinschaft verehrt sie bis heute.
EC Comics sind unbestritten die besten ihrer Zeit, gelten als Sammlerobjekte und wurden tatsächlich komplett nachgedruckt. Über diesem „Hype“ ist der komplette Rest der Comicproduktion dieser Jahre total vernachlässigt worden.
Die Nachahmer und Konkurrenten von EC erfahren erst seit den frühen 90er Jahren eine Würdigung. Inzwischen sind auch die Hefte von Verlagen wie Harvey, Story, Fawcett, Superior, Ajax, Charlton und Gillmor begehrte und teure Sammlerware.
Um EC aber hat sich ein Mythos gesponnen, der auch damit zu tun hat, dass die Macher Bill Gaines und Al Feldstein kompromisslos Haltung bewiesen haben. Sie legen sich wiederholt und heftig mit der Comics Code Authority an und schmeißen am Ende mit großer Geste den Krempel hin.
Gute Hefte, gute Publicity und treue Fans sichern EC einen Ruf wie Donnerhall. Dass viele Geschichte Rohrkrepierer sind und einige nicht gut gezeichnet, wird gnädig unter den Teppich gekehrt. Im Endeffekt aber gilt: EC produzierte einfach weniger Ausschuss als all die anderen.
Nicht zu unterschätzen, ja wahrscheinlich sogar entscheidend für die Qualität von EC ist die dauerhafte Präsenz der „horror hosts“ Crypt Keeper, Vault Keeper und Old Witch. Jede EC-Horrorgeschichte wird eingerahmt von diesen Erzählern. Der Leser wird nicht ins kalte Wasser geworfen, sondern wie ein Freund empfangen. Es wird eine explizite Vereinbarung geschlossen:
Der Erzähler nimmt den Leser bei der Hand und führt ihn durch eine spannende, aber streng fiktive Handlung. Am Ende wird er verabschiedet und in die Obhut des nächsten Erzählers entlassen.
In den Horrorcomics des EC-Verlags waren stets sämtliche Hosts vertreten, die sich im Erzählen ihrer Märchen abwechselten. Auch auf den Leserbriefseiten der Hefte wird ein scherzhafter Ton gepflegt. Leser schicken ihre Kalauer-Ideen ein, die drei Hosts versuchen, diese noch zu überbieten oder kess zu kommentieren.
Sehr schön zum Beispiel der Leserbrief zweier Jungs aus Missouri, die stolz behaupten, fast alle EC-Hefte zu besitzen – und gerne Kontakt zu anderen Sammlern aufnehmen möchten. Trockener Kommentar der Redaktion: „This sounds like a trap“.
Es geht um nichts Weiteres als die Verköstigung des Betrachters mit „Lesefutter“. Die Old Witch in der Serie „Haunt Of Fear“ fordert den Leser im Eröffnungsmonolog auf, sich wie auf den Empfang einer Speise vorzubereiten: Tritt ein, nimm Platz, du bist bestimmt hungrig, binde dein Lätzchen um, klemm dir die Sabbertasse („drool cup“!) unters Kinn, labe dich an meinem Menü für heute…
All das schafft Distanz zur bevorstehenden Erzählung, es ironisiert sie. Die über zwei Dutzend Konkurrenzverlage sind diesen Weg (meist) nicht gegangen.
Eigentlich rätselhaft, warum man dieses erfolgreiche Konzept nicht kopiert hat (vielleicht aber auch gerade deswegen – kopiert wurde in diesen Jahren schon zuviel, oft auch mit gerichtlichen Konsequenzen).
Es gibt Versuche und Ansätze, sich mit Erzählerfiguren ganz anderer Natur abzugrenzen.
Der titelgebende „Mister Mystery“ der Comicprodukte von Stanley Morse (der seine eigenen Hefte überhaupt nie gelesen haben will) ist ein maskierter Gentleman im Kostüm eines Bühnenzauberers und wartet mit überaus zynischen Kommentaren auf. Ein Unsympath ersten Ranges.
„The Mummy“ aus dem Hause Fawcett ziert die Reihe „Beware! Terror Tales“. Und der leichenblasse Kollege „Doctor Death“ versucht sich als Conferencier der Ausgaben von „This Magazine Is Haunted“.
Und der Charlton Verlag etabliert in der Heftserie „The Thing“ einen unsichtbaren und körperlosen Erzähler namens (aha!) „The Thing“, der sich den Meta-Spaß erlaubt, im Text vorkommende Wortverbindungen mit „…thing…“ (auch in Sprechblasen!) in anderer Typographie hervorzuheben. Eine äußerst merkwürdige und ziemlich sinnlose Alleinstellungsmaßnahme.
Und natürlich fehlt all diesen Epigonen die dem Humanismus entspringende Ironie.
Entweder sind sie langweilig, beliebig, überflüssig oder bewirken Eskalation des schlechten Geschmacks.
Wie grausig ist der Horror?
Es ist nicht so, dass in den Horrorcomics der 50er Jahre das Blut spritzt. Ich habe überhaupt wenig Blut in diesen Heften gesehen. Wenn Gewalt vorkommt (und das tut sie oft), dann meistens im „Off“ und nicht im direkten Blickfeld. Oder wir erleben den Moment, bevor Objekt und Körper zusammentreffen.
Die Bluttaten spielen sich also in der Phantasie des Betrachters ab. Deswegen sind die Handvoll Geschichten, die das Resultat einer Gewalttat zeigen, auch schon der Gipfel der grafischen Grausamkeit. Mir fallen da mehrere Comics ein, die bluttriefende abgeschlagene Köpfe darstellen. Unappetitlich sind natürlich die zahlreichen „rotting corpses“, die halbverwesten Leichen, die untot durch die Gegend tattern. Mal realistischer, mal harmloser gezeichnet.
EC-Chefredakteur Albert Feldstein hat dargelegt, dass in den Entertaining Comics reale Gewalt, wie sie im Leben vorkommt (erschießen, erstechen, erwürgen) immer ins Bild-Abseits verlagert wurde – phantastische Gewalt jedoch, wie sie niemals in der Wirklichkeit auftritt, sehr wohl den Höhepunkt der Geschichte markierte und somit auch dargestellt wurde.
Wie die Pointe eines Witzes tauchen also groteske Geschmacksverletzungen im Bild auf.
Zum Beispiel der Mensch, mit dessen Körperteilen ein Baseballspiel abgehalten wird („Foul Play“, illustriert von Jack Davis in HAUNT OF FEAR Nr. 19).
Das ist einfach krass und (hoffentlich) so unrealistisch, dass es niemand ernst nimmt. Dennoch bleibt ein Schock. Und damals wie heute denken wahrscheinlich nicht wenige Menschen, dass solche Darstellungen bei Kindern und Jugendlichen mehr als nur einen Schock auslösen könnten. Interessant ist allerdings, dass solche „Verrohungs“-Diskussionen nach wie vor geführt werden, sich aber von Comics auf Splatter-Filme und die so genannten „Ballerspiele“ verschoben haben.
Der schlechte Ruf, den sich die Comics in den 50er Jahren verdient haben, dürfte zum großen Teil allerdings in der Covergestaltung begründet sein. Viele Titel sind lächerlich, viele Titel sind nicht der Rede wert, aber genauso viele Titel lassen den Betrachter zusammenzucken.
Sie bieten einen Schlüsselreiz, auf den man nur mit Beunruhigung oder gar innerem Aufruhr reagieren kann. Die wüsten Cover aus dem Hause Gillmor/Stanley Morse sind sicher die Speerspitze – ein Schrei nach medialer Aufmerksamkeit, der nicht ungehört blieb.
Soll man Horrorcomics von Kindern fernhalten? Unbedingt. Kinder sind nicht gut in Ironie. Ohne Ironie sind die Gruselhefte der 50er Jahre nicht goutierbar.
Ironie ist etwas, was man sich als Jugendlicher aneignet. Fragt sich nur, wo (damals wie heute) die Grenze verläuft zwischen „Kind“ und „Jugendlicher“. Irgendwo zwischen 12 und 16 Jahren, nehme ich an. Kein 16-Jähriger wird mehr Schaden nehmen an diesen Horrorcomics.
Im heutigen Splatter-Genre ist die Ware mittlerweile so hart, dass man sich als Betrachter eine Ironie dazu erfinden muss, um untraumatisiert zu bleiben. Zu Recht gilt hier eine Freigabe erst ab 18 Jahren.
Nochmal zurück zur Ironie: Es geht nicht ohne.
Schon die gängigen „Anmoderationen“ der meisten Geschichten strotzen vor Übertreibungen, die niemals einlösbar sind. Ich habe mal spaßeshalber die monotonen Gruselversprechen der Redakteure versammelt:
„Your blood will freeze“ – Dein Blut wird gefrieren
„Your skin will crawl“ – Dich packt die Gänsehaut
„Your spine will tingle“ – Dir läuft es kalt über den Rücken
“Your knees will quake” – Deine Knie werden schlottern
„Your hair will stand on end“ – Dir werden die Haare zu Berge stehen
Das einzige was mir öfters passiert ist, ist folgendes: Meine Zehennägel haben sich aufgerollt. Und zwar vor ungläubigem Staunen, welcher Unfug mir präsentiert wird.
Nachtrag zum Thema Comics Code:
Stan Lee vs. Dr. Wertham
Nicht nur die Macher von EC haben sich in ihren Heften gegen den Vorwurf gewehrt, die Jugend zu verderben… Auch die Marvel-Comics (bzw. in jener Zeit als Atlas oder Timely bezeichnet) unter Redakteur Stan Lee haben einen klaren Standpunkt zur drohenden Zensur eingenommen.
Marvel-Fachmann Michael Vassallo wie auch der Blogger Karswell haben im Internet eine höchst interessante Geschichte veröffentlicht: In „The Raving Maniac“ illustriert Joe Maneely auf vier köstlichen Seiten, wie ein Wertham-Adept das Büro von Stan Lee stürmt und sich über die Comics empört.
Stan Lee bläst ihm den Marsch mit sachlichen Argumenten. Am Ende wird der tobende Besucher in die Klapsmühle verbracht, Stan Lee geht nach Hause zu Frau und Kind und erzählt seiner Tochter als Gutenachtgeschichte eine wirklich fantastische Mär – dass es Menschen gibt, die nichts Besseres zu tun haben als sich über Comichefte aufzuregen.
„The Raving Maniac“ erschien schon im April 1953 (in SUSPENSE Nr. 29). Hut ab!
Diese „Realsatire“ steht den deftigen Statements von Feldstein & Gaines in nichts nach. Je mehr ich mich mit pre-code-Horrorheften beschäftige, desto größer wird mein Respekt vor Timely/ Atlas/ Marvel (ich nenne den Verlag auf dieser Website „Atlas“ – wie auch andere Comicforscher, wenn auch nicht alle).
Allerdings hasse ich sie immer noch dafür, dass sie den Markt in den 50er Jahren mit Dutzenden von austauschbaren Titeln überschwemmt haben. Mit derselben Strategie haben sie 20 Jahre später den zweiten Horror-Boom plattgemacht. Aber das ist nicht mehr mein Fachgebiet…