(eine feuilletonistische Auslassung)
- Begriffsklärungen und Grenzziehungen
- Typologie und Herkunft der „mad scientists“
- Sechs Themenfelder der „mad science“, unterfüttert durch Bildbeispiele
- Fazit und Ausblick
- Begriffsklärungen und Grenzziehungen
Wir begrenzen unseren Blick auf die Wissenschaft im Comic auf ihrer pervertierte Ausprägung als „mad science“ (wie sie auch in den Genres Science Fiction- und Superheldencomic zu finden ist) in den frühen Horrorcomics, weil wir glauben, dass hier die „böse Seite“ extrem zu Tage tritt – und uns somit die hellsten Funken schlägt.
Hier geht es nicht nur um Transport- oder Waffentechnologie, sondern um abstruseste Experimente jeglicher Couleur – von der Erschaffung künstlichen Lebens bis hin zur Reise in fantastische Dimensionen.
Bei der Recherche stellt sich heraus, dass der Begriff „mad science“ äußerst schwammig ist und assoziativ solche diversen Gebiete wie die Menschenversuche eines Dr. Mengele, die Gimmick- und Gadget-Welt eines James Bond sowie das erfinderische Genie der Superhelden bzw. Superschurken umfasst.
Solcher Wissenschaft verdanken wir Superhelden wie Captain America und Iron Man – der erstere durch eine Art Zaubertrunk zum Supersoldaten geformt, der andere mittels eines fantastischen Aggregates in seiner Brust (welches sein Herz ersetzt) zu übermenschlichen Leistungen fähig.
„Mad science“ kommt zur Blüte im Superheldencomic der 40er Jahre und durch diesen deutlich inspiriert im Horrorcomic der 50er Jahre. Comics wären OHNE die „mad science“ deutlich leerer, die Horrorcomics sogar deutlich blutleerer.
Da mir das Internet keine Definition des Begriffs „mad science“ anbieten konnte, möchte ich eine eigene erstellen. Sie lautet wie folgt:
Unmögliche, dennoch von Menschenhand erschaffene Phänomene in zeitgenössischem Umfeld.
Wir betrachten also in der Gegenwart angesiedelte, nicht realisierbare Schöpfungen unter Ausschluss von Naturereignissen. Beispielsweise genetische Experimente, die Kreation von künstlicher Intelligenz und Androiden bzw. Robotern sowie den Aufbruch in fremde Dimensionen.
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Typologie und Herkunft der „mad scientists“
Die ersten „mad scientists“ der Literatur dürften wohl die vielbemühten Klassiker sein:
Stevensons „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ (1886) sowie Shellys „Frankenstein“ von 1818.
Die fiktionale „mad science“ ist immer das Spiegelbild der realen „good science“. Alessandro Volta erfindet um 1800 die elektrische Batterie, Luigi Galvani lässt die Muskulatur an Froschschenkeln zucken, und sein Neffe Giovanni Aldini überträgt diesen Versuch 1803 in London auf den Leichnam des Mörders George Forster – auch hier kontrahieren Muskeln, nachdem der Tod eines Menschen bereits eingetreten ist. Die Steilvorlage für Frankenstein!
„Mad science“ spiegelt auch den Stand der Wissenschaft. Leichenräuberei, elektronische Apparaturen und chemische Formeln stellen lange das Repertoire, bis die verrückte Wissenschaft einen Boom nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt – durch die Entfesselung des Atoms und die Konstruktion des Transistors. Der künstliche Mensch verfügt nun über ein Elektronengehirn und kann seriell produziert werden. Nun steht den fantastischsten Auswüchsen nichts mehr im Weg.
Die Betreiber der „mad science“, die „mad scientists“, lassen sich verblüffenderweise immer in die beiden Grundkategorien „Schrauber“ und „Chemikus“ einteilen. Dr. Frankenstein verfolgt den mechanistischen Ansatz: Wir basteln uns ein Gerät aus Einzelteilen und nehmen es mittels Elektrizität in Betrieb. Dr. Jekyll hingegen weiß aus chemischen Zutaten eine Droge zu mixen, die den menschlichen Körper in nie geahnter Weise modifiziert (der Mann hätte auch einen guten Barkeeper abgegeben).
Und damit möchte Sie einladen, mir auf eine kurze Tour in die Geisterbahn zu folgen. Lassen Sie uns durch einige Comics flanieren, sortiert nach Fachgebieten der verrückten Wissenschaft.
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Sechs Themenfelder der „mad science“,
unterfüttert durch Bildbeispiele
Der postmoderne Prometheus – Frankenstein wird Designer
(exemplifiziert an der Geschichte „The Body Maker“, 1952)
Dr. Payn hat ein Problem. Er ist hässlich wie die Nacht. Deswegen möchte er, ein genialer Chirurg und Tüftler, der Nachwelt Schönheit schenken. Ganz im Sinne Frankensteins (auf den er sich explizit beruft, er verfügt sogar über dessen persönliche Unterlagen!) konstruiert er aus verschiedenen Körperteilen eine Kreatur, die er zum Leben erwecken will.
Payn bedient sich jedoch nicht auf dem örtlichen Friedhof, um an Material zu kommen, er sucht schöne junge Frauen heim – und beraubt sie deren schönster Glieder. Der einen schneidet er die schlanken Beine ab, die andere muss ihre feinen Hände lassen, die dritte verliert ihren kompletten Kopf.
Als Payn glaubt, die perfekte Schönheit beisammen zu haben, entdeckt er am Schädel einen schlimmen Makel: dunkle Haarwurzeln! Was bedeutet, dass er eine blondierte Dame erwischt hat. Da er auf echten blonden Haaren besteht, muss Payn nochmal raus und einen blonden Skalp erobern. Das gelingt ihm zwar, jedoch wird er auf der Flucht von der Polizei (die ihm inzwischen auf den Fersen ist) verfolgt.
Groteskerweiser verfängt sich das Blondhaar am herabhängenden Schild eines Theaters, wickelt sich um Payns Hals und erdrosselt den Möchtegern-Frankenstein. Ironische Schlusspointe (für alle, die genau hinschauen): Im Theater wird das Stück „The Perfect Woman“ gegeben!
Der Anti-Comics-Kreuzzügler Dr. Wertham sah in diesem Comic eine „Lustmord-Geschichte“. Ich denke, wir können „The Body Maker“ auch als schwarzhumorige (wenn auch geschmacklose und sowieso frauenfeindliche) Persiflage auf Mary Shelleys Klassiker lesen.
Sie finden die komplette Geschichte im Anschluss an meine Ausführungen zu Werthams „Seduction of the Innocent“ HIER (bitte ans Ende scrollen).
Wir bauen uns eine Traumfrau – technoide Männerphantasien
(exemplifiziert an den Geschichten „Death Kiss“, 1953, und „The Beautiful Robot”, 1951)
Haftete „The Body Maker“ noch die grabräuberische Aura des 19. Jahrhunderts an (obwohl die Geschichte erkennbar in der damaligen Gegenwart um 1950 herum spielt), so betreten wir mit den nächsten Erzählungen erkennbar das Neuland der Hochtechnologie. Nicht mehr Leichenteile ergeben einen neuen Menschen, sondern die (nicht näher gekennzeichneten) Komponenten des Elektronikbaukastens.
Sowohl Professor Skeezer in „Death Kiss“ wie auch Professor Kingsley in „The Beautiful Robot” sind Abziehbilder des Akademikers: Kleine, schmächtige, ältliche und unsportliche Herren, die nicht beim anderen Geschlecht landen können.
Kingsley wird zum Auftakt sogar explizit von einer kaltherzigen Schönheit verspottet: „Keine Frau mit gesundem Menschenverstand würde ein abstoßendes Männchen wie dich heiraten. Das täte höchstens ein Robotweib, das es nicht besser wüsste. Wieso erfindest du dir keins?“.
Diese Ansage kann Kingsley nicht auf sich sitzen lassen, und tatsächlich hat er vier Bilder später bereits eine hochattraktive (dunkelhaarige!) Frau erschaffen (wie, wird nicht verraten), der er wie Professor Higgins in „My Fair Lady“ die Sprache beibringt.
Anschließend führt er sein Geschöpf stolz auf den Verlobungsball seines Assistenten aus.
Dort allerdings entwickelt die Androidin angesichts des kernigen Athleten einen fatalen Eigensinn – und fällt küssend über den Adonis her. Entsetzt ist nicht nur der Professor, sondern auch die blonde Verlobte des Assistenten.
Alle fliehen aufs Dach, wo sie vor dem amoklaufenden, liebestollen Androiden Schutz suchen. Den Menschen kommt zu Hilfe ein Gewitter, aus welchem sich ein Blitz löst, der die Kreatur augenblicklich in ihre Einzelteile zurücksortiert. Übrig bleibt nur ein Haufen Altmetall.
Die ganze Geschichte ist HIER einsehbar.
Professor Skeezer erschafft sich in „Death Kiss“ ebenfalls eine dunkelhaarige Sexsirene aus mechanischen Einzelteilen (hier erlaubt man uns einen Blick ins künstliche Gehirn, siehe Abb.). Nicht auszuschließen ist, dass Skeezer sich eine Lustsklavin konstruieren will, denn er hat Probleme mit der Justierung der „Kussmuskulatur“. Seine Kunstfrau nämlich küsst zu wild, sogar so wild, dass es lebensgefährlich wird.
Diese teuflische Fähigkeit benutzt Skeezer, um einen Grobian (der ihn beleidigt hatte) um die Ecke zu bringen. „Rita“, wie er die Androidin nennt, geht los und erstickt den Konkurrenten mit ihren Todesküssen. Bei der Rückkehr seines Geschöpfes aber ist Skeezer unwohl vor so viel Frauenpower und er beschließt, sie schnell und brutal mittels Säure zu demontieren. Im technischen Todeskampfe jedoch wirft sich Rita auf ihren Schöpfer und küsst auch ihn zu Tode.
Die komplette Geschichte ist HIER einsehbar.
Und die Moral von der Geschicht‘: Schöne Frauen baut man nicht!
Des Biologen Malheur – der Doktor und das fiese Viech
(exemplifiziert an der Geschichte “The Crawling Horror”, 1952)
Die Zahl der Horrorgeschichten, in denen Biologen mit Ausgeburten der Fauna ringen, ist Legion: Monsterameisen, Riesenspinnen, Superratten, Wahnsinnsschlangen und Killerskorpione bevölkern regelmäßig die Seiten dieser alten Comics. Wir möchten unseren Blick allerdings auf originellere „Lebewesen“ werfen, die kleinsten der Kleinen – die Viren. Zur Erinnerung: Ein Virus ist eine mikroskopisch kleine DNA/RNA-Einheit, verfügt über keinen eigenen Stoffwechsel und kann sich auch nicht selbsttätig fortbewegen. Im Horrorcomic sieht ein Virus dennoch so aus:
Man ahnt sogleich: mit so etwas ist nicht zu scherzen. In der Geschichte “The Crawling Horror” trauert Biologe Dr. Carson um seine Frau Emily. Noch am Grabe schwört er, den heimtückischen Virus, an welchem sie starb, zu erforschen und auszumerzen. Dazu bedient er sich eines genialen Tricks.
Da Viren so unhandlich klein und damit schlecht zu beobachten sind, züchtet Carson den Killervirus groß!
Innerhalb zweier Jahre gelingt es ihm (mittels des „Wachstumsvitamins B“ sowie seiner nicht näher bezeichneten „Wachstumsformel“), den Virus X annähernd läusegroß zu machen, sodass er mit bloßem Auge sichtbar wird.
Doch während Carsons verdienter Nachtruhe wachsen die Biester weiter und versammeln sich – inzwischen mäusegroß – um seine Bettstatt. Ein Gebinde frischer Blumen verwelkt „in Sekundenschnelle“, als sich ein Virus nähert. Carson bekämpft das virale Rudel mit „Penicillin, Aureomycin, sonstigen Antibiotika“ (die er über die Angreifer schüttet) – doch selbst Säure (zur Hand in jedem Biologenhaushalt) hilft nicht.
Der minütlich schwächer werdende Doktor sieht nur einen Ausweg – die ganze Bude anzünden. Er und seine Monsterviren sterben den Flammentod, doch ein gewaltiges Biest überragt bereits an Körpergröße das Haus und entkommt – um schließlich „so riesig zu werden dass es die ganze Welt vernichten kann“.
Trübe Aussichten, sicherlich. Halten wir dennoch einen Moment inne und lassen sich das Lachen setzen. Wäre es nicht in der Tat eine clevere Lösung, Viren tiergroß zu züchten? Dann könnte man sie sehen und sich effektiv vor ihnen schützen. Wussten Sie andererseits, dass jede menschliche Zelle von bis zu 100 Viren besiedelt ist?
Die Kunst der Prostethik – Alle Teile machen noch kein Ganzes
(exemplifiziert an der Geschichte „The Green Hands of Terror“, 1951)
Solange sich der Mensch medizinisch betätigt, hat er auch Prothesen hergestellt. Falsche Zähle, Holzbeine, Gummihände und so weiter. Doch die Herstellung lebendiger Glieder will ihm bis heute nicht gelingen. Das ist dem Horrorcomic vorbehalten.
Jenk und Slezak, zwei Mörder auf der Flucht, finden Unterschlupf in einem verfallenen einsamen Haus. Dort lebt ein kauziger Wissenschaftler mit einem geheimen Kellerlaboratorium, der keinen Besuch schätzt. Slezaks vorgehaltene Pistole verschafft ihnen jedoch Gastaufenthalt über Nacht. Im Schlaf wird Jenk von einem Paar körperloser Arme angegriffen und gewürgt. Sie verfolgen die Geisterarme, die sodann über den Wissenschaftler herfallen. Slezaks Schüsse vertreiben die grausige Erscheinung vorerst.
Der dankbare Wissenschaftler packt daraufhin aus: Er sei Chemiker und experimentiere mit „Erbfaktoren wie Genen und Chromosomen“. Er habe „synthetisches Protoplasma“ entwickelt und könne bereits isolierte Körperteile herstellen. Einen Kopf, den er gezüchtet habe, sei jedoch renitent und steuere die Glieder gegen ihn und seine Gäste.
Die drei Männer treiben die angriffslustigen Arme und Beine in das Kellerverlies des Forschers. Dort zeigt ihnen der Chemiker seine Aufzeichnungen und weiteres Rohmaterial, mit dem sich Millionen verdienen lassen. Darauf natürlich springen die Gangster an. Sie warten ab, bis ein erneuter Angriff der Glieder den Forscher das Leben kostet und dringen ins Labor ein. Als sie die Formel stehlen wollen, müssen sie sich dem schwebenden Kopf und seiner Armee der Hände und Beine stellen.
Nach wildem Kampf und einer Verfolgungsjagd werden Jenk und Slezak ins Verlies verschleppt. Die beiden müssen sich ihrer nackten Haut erwehren und greifen auf ein bewährtes Rezept zurück, welches wir in der vorherigen Geschichte schon bei der Arbeit gesehen haben: Sie zünden das Haus an, in welchem die kampflustigen Körperteile sämtlich zugrunde gehen.
Die Story endet mit einer schönen, ironischen Pointe. Die anrückende Feuerwehr und Polizei macht Jenk und Slezak dingfest. Die irdische Gerichtsbarkeit wird sie der Todesstrafe überführen, denn das ganze Haus lag „voller verbrannter Körperteile“. Den Beteuerungen Slezaks, es handle sich nur um künstliche Glieder, wird natürlich kein Glauben geschenkt.
Die ganze Geschichte ist HIER einsehbar.
Und Morgen die ganze Welt – Eroberungsvorsprung durch Technik
(exemplifiziert an den Geschichten „The Stolen Brain“ und „Operation Massacre”, 1953)
Wagen wir uns nun auf das Feld der Hirnforschung vor. Als – zugegeben skrupelloser – Pionier darf hier Dr. Claude Mannox gelten. Um seine Hirnforschung zu finanzieren kommt er auf einen unkonventionellen Gedanken: Er entführt den Wall Street-Börsenhai Porter Humphrey, bringt diesen um – und hält sein körperloses Gehirn in einer „Lösung aus Kochsalz und Blutplasma“ am Leben. Sodann nutzt Mannox die elektronischen Impulse des Gehirns, um mittels einiger ins Gehirn führender Drähte sowie einer damit angeschlossenen Telex-Maschine zu kommunizieren.
Dr. Mannox tippt Fragen ein, und Humphreys Hirn antwortet ihm per Fernschreiber. Triumph der Wissenschaft. Leider ist der (un)tote Börsenspekulant nicht im Mindesten kooperationsbereit und wird im Lauf der Geschichte dafür sorgen, dass der mörderische Forscher hinter Gitter wandert. Die vollständige Story lesen Sie HIER.
Noch weiter ins Fantastische trägt uns die Erzählung „Operation Massacre”, in der uns künstliche Intelligenz plus Telepathie begegnen. Der brillante Wissenschaftler Dr. Karasz hat eine „Gehirnwellen-Antenne“ entwickelt, welche seine Gedanken übermitteln kann. Empfänger seiner Gedankenbefehle sind jedoch nicht seine Mitmenschen, sondern metallische Robot-Diener, die ihm bedingungslos gehorchen.
Dieser Comic konfrontiert uns mit der vollen Packung an „mad science“ – telepathisch gelenkte Roboter. Ein Rudel abgerichteter Hunde hätte es wahrscheinlich auch getan, aber dieses Heft ist nicht „Bessy“, sondern ein Horrorcomic der 50er Jahre.
Die Handlung voran treibt nun Dr. Karasz‘ sinistrer Kollege Marko, der die Erfindung stiehlt, „die Frequenz der Antenne“ auf seine Gedanken justiert und fortan eine Roboterbande dazu missbraucht, Erpressung, Mord und Raub zu verüben. Am Ende kommt Marko ums Leben, weil er einen Marschbefehl gegen anrückende Soldaten nicht differenziert genug formuliert. „Roboter… massakriert alle Menschen in eurem Weg!“ – dummerweise steht Marko genau vor ihnen und wird von Eisenfüßen zertreten. Daraufhin stehen die Blechmänner still, denn sie empfangen keinen steuernden Gedanken mehr.
Die Geschichte schließt mit einer expliziten Warnung: „Solange der Mensch an Böses denkt, darf man ihm nicht solche Macht anvertrauen. So lautet die Lektion. Wahrscheinlich werden die Menschen sie dennoch ignorieren“. HIER nachzulesen!
Welten, die noch nie zuvor ein Mensch gesehen hat – Höllische Parallel-Dimensionen
(exemplifiziert an den Geschichten „Pages of Death“, 1952, und
„Out of Blackness They Come”, 1953)
Mit dieser letzten Rubrik wagen wir endgültig den Sprung ins Spekulative. Unter dem Deckmäntelchen der Wissenschaft verlassen einige Erzählungen unsere Wirklichkeit und transportieren den Leser in andere Welten. In „Pages of Death“ tauchen wir in literarische Fiktion ein. Ersparen Sie mir, Ihnen alle absurden Wendungen der Handlung erklären zu müssen (die Geschichte können Sie HIER nachlesen), nur soviel:
Der Chemiker Alvin Penny stellt eine Mixtur her, die ihn in die Welt der Bücher eintauchen lässt. Unklar bleibt, woraus die Flüssigkeit besteht, sie enthält auf jeden Fall „flüchtige Salze“. Absolut wahnsinnig ist ihre Wirkung: Der Mensch, der sie zu sich nimmt, löst sich körperlich auf und wird in das Buch hinein gewirbelt, das gerade vor ihm liegt.
Dieser Dimensionssprung versetzt ihn direkt in die Handlung des Buches! Oder, einmal comic-wissenschaftlich formuliert: “Meiner Theorie zufolge erschafft ein Autor reale Menschen, die in ihrer eigenen Welt existieren. Mein Serum durchbricht die Raum-Zeit-Barriere ebenso wie das Gefängnis meines Körpers und versetzt meinen Geist in andere Dimensionen – zum Beispiel in die Welt der Fiktion”. Aaaah, ja.
Was darin resultiert, dass sich Professor Penny, seine Verlobte Jean sowie der fiese Rivale Roger Horn auf einem transsilvanischen Schloss mit Dracula prügeln. Nach einer Menge Dimensions-Gehopse gibt es ein Happy End für die Verliebten, wenn auch der Wissenschaftler schwört: „Ich werde diese Formel stante pede verbrennen!“.
Pseudo-physikalisch geht es zu in „Out of Blackness They Come”: Wissenschaftler Bill Henson experimentiert mit Lichtquellen „verschiedener Farbe und Intensität“. Er erhofft sich, durch „Kombination“ derselben „eine unendliche Schwärze zu schaffen, wie die Welt sie noch nicht gesehen hat“. Prompt folgt die Demonstration: Henson legt einen Schalter um, buntes Licht ergießt sich aus Scheinwerfern und vereint sich im Schnittpunkt zu einem tiefen Schwarz – welches zum Schrecken der Beobachter lebendig wird!
Henson und sein Partner Stroller werden von der formlosen, schwarzen Entität umflossen und in eine düstere Paralleldimension entführt – die Hölle! Das Dunkle ist das Böse, wo der Teufel leibhaftig lauert. Die beiden Männer können dem Satan und seinen dämonischen Horden allerdings entkommen, indem sie eine Taschenlampe zücken und damit helles Licht verbreiten.
Dies transportiert sie „erstaunlicherweise“ (Comiczitat) zurück in ihre Alltagswelt. Auch diese Geschichte schließt mit der Demolierung aller Apparaturen und der Vernichtung sämtlicher Notizen.
Ich lade Sie herzlich ein, diesen köstlichen Mumpitz in voller Länge HIER nachzulesen.
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Fazit und Ausblick
Wir beobachten bei diesen Berichten aus der Wissenschaft eine Parallelführung zur klassischen Horrortradition: Die Beschwörungen der Satanisten und Hexen werden ersetzt durch ebenso beliebig klingende Formeln, die kein Laie versteht, sondern nur Eingeweihte der Schwarzen Kunst bzw. akademischen Wissenschaft. Man beachte den gezielten Einsatz von schwergewichtigen, aber nichtssagenden Floskeln wie „flüchtige Salze“, „chemisches Gleichgewicht“, „Raum-Zeit-Schranke“ o.Ä.
Die „mad science“ ist der „dunkle Spiegel“ unserer Wissenschaft. Sie zwingt durch die geschilderte Phantastik des Geschehens den vorwissenschaftlichen Zweifel zurück in die Wissenschaft.
Sie mahnt uns vor den Gefahren des Übernatürlichen. Denn die Möglichkeit des Missbrauchs lauert überall. Der fatale Irrtum kann systeminhärent sein. Und schließlich: Was ist, wenn Wissenschaft zu weit geht?
Der Spaß an „mad science“ besteht darin, dass es sich keineswegs um Wissenschaft handelt, sondern um pure Behauptungen, die komplett aus der Luft gegriffen sind.
Die (Comic-)Literatur erweist sich (hier auf jeden Fall) als ein Spiel zwischen Autor und Leser, das niemand allzu ernst nehmen sollte.
Verschriftlichung eines Power-Point-Vortrags, gehalten an der Universität Erlangen im
November 2013 anlässlich der Jahrestagung der „ComFor“ (Gesellschaft für Comicforschung) – Thema der Tagung: „Comics und Wissenschaft“.