Das US-Comicheft der 40er und 50er Jahre – ein Schnelldurchlauf
Man muss Superman dankbar sein. Auch wenn es mir schnurzpiepegal ist, wie oft er die Welt gerettet hat, dann muss ich ihm doch danken, dass er mein Lieblings-Printmedium am Leben gehalten hat: das Comicheft!
Denn in jenem Sommer 1938 ziert der Alien-Athlet vom Planeten Krypton das Titelbild der
ACTION COMICS Nr. 1, jener „Mona Lisa“ der „comic books“ – grotesk teuer gehandelt auf dem heutigen Sammlermarkt. ACTION COMICS Nr. 1 ist in der Tat ein Meilenstein, denn es begründet das Genre der Superheldencomics, löst eine Lawine weiterer Heldenheftchen aus, ist der Urknall eines Comiczeitalters (welches aus der Retrospektive als „Golden Age“ bezeichnet werden wird), etabliert eine künstlerische Industrie – und hält diese bis heute am Laufen.
Große und kleine Zeichenstudios schießen aus dem Boden, welche hunderte großer und kleiner Superhelden in den Himmel schleudern. Was nicht sofort wieder als lebensunfähiger Klon herunterfällt oder von der Rechtsabteilung der DC Comics abgeschossen wird, fliegt zumindest ein paar Hefte lang und verschafft jungen Kunststudenten ihre erstverdienten Kröten.
Die bunten Übermenschen in ihren unpraktischen Kostümen sorgen für soziale Gerechtigkeit, bekämpfen Verbrechen und Korruption – und geben den arischen Übermenschen in Nazideutschland tüchtig eins auf die Mütze. Der Führer selbst wird Opfer von Superheldenselbstjustiz, oft genug trifft es jedoch nur einen Hitler-Doppelgänger (hah!).
Jede Mode geht vorüber, und so kommt es, dass die Comicindustrie sich auf die Suche begibt nach neuen Märkten, Trends und Zielgruppen. Im Endresultat wird alle paar Jahre eine neue Sau durchs Dorf getrieben (ein schöner Vergleich ist die
Kopier-Wut des deutschen Fernsehens – auf die Talkshow-Welle folgt die Game-Show-Welle folgt die Reality-TV-Welle folgt die Casting-Show-Welle etc.).
Der Verlag Fiction House drängt ab 1940 mit Abenteuercomics auf den Markt, die ihren Lesern bunte Wundertüten vielfältigster Actionhelden präsentieren. Boxer, Spione, Piraten, Flieger, Soldaten, Taucher und Entdecker paradieren superheldengleich durch die knalligen Seiten von FIGHT COMICS, RANGER COMICS und WINGS COMICS.
Mit der Serie JUNGLE COMICS kopiert man gnadenlos Tarzan – und geht sogar noch einen (vermeintlich emanzipatorischen) Schritt weiter: Tarzans Jane wird mit der Erfindung der Dschungelamazone SHEENA selbständig und darf eine Heldin sein! Eigentlich geht es den Verlegern aber mehr darum, Frauen im Bikini darstellen zu können.
Kein Wunder, dass der für seinen „sleaze“ berüchtigte Victor Fox solche Ware im Dutzend auflegt – und gerne auch ein bisschen „bondage“ hinzumontiert. So verkommen Prachtweiber mit Phantasienamen wie Rulah, Zegra oder Nyoka zu bloßem „eye candy“. Gar nicht zu reden von der Fox-Ausgeburt PHANTOM LADY, die als Verbrechensbekämpferin halbnackt durch die Stadt hüpfen darf. Hier gilt mein „Mantra Nummer Eins“: Comickultur ist Pin-Up-Kultur!
1942 wagen es die Redakteure Charles Biro und Bob Wood, ein komplettes Comicheft nur mit Schilderungen von Verbrechen zu füllen. Ging es zuvor in Comicstrips um kernige Detektive und wack’re Kriminalkommissare, so stehen nun die Gangster im Mittelpunkt.
Angeblich „wahre Begebenheiten“ werden reißerisch ausgestellt, die darin vorkommende Gewalt wird genüsslich zelebriert. Natürlich nur, um am Ende den Bösewicht nach haarsträubender Hatz mit Kugeln zu penetrieren oder grausam auf dem elektrischen Stuhl zu „braten“ – schließlich heißt das Heft ja CRIME DOES NOT PAY.
Auszahlen tut sich das Verbrechen allerdings für den Verleger, der sich bald mit Nachahmungstätern im
Dutzendbereich konfrontiert sieht.
Perfide Epigonen trumpfen auf mit Titeln wie CRIMES BY WOMEN, FAMOUS GANGSTERS oder LAWBREAKERS SUSPENSE STORIES.
1947 transportieren Joe Simon und Jack Kirby romantische Liebesschnulzen in ein eigenes Heft. Mit YOUNG ROMANCE ist das Genre der Liebescomics oder „romance books“ geboren.
Der höchst einflussreiche Kirby hatte Jahre zuvor schon mit seinem Captain America den Superhelden-Boom mit angeheizt (und wird in Zukunft in diesem Genre noch weitere Akzente setzen).
Comichefte haben nun auch gezielt weiblicher Leserschaft ein Angebot zu machen, das diese offenbar nicht ablehnen konnte. Denn in der Folge werden die Schlagworte „Love“ und
„Romance“ in allen nur denkbaren Kombinationen am Kiosk angeliefert: FIRST LOVE, DARLING ROMANCE, REAL LOVE, HIGH-SCHOOL ROMANCE, MY LOVE SECRET sowie sicherheitshalber die
Titel ROMANTIC LOVE bzw. LOVE ROMANCES.
Dies ist wohlgemerkt nur ein winziger Auszug aus dem Titelregister. Wie ich auch nur vereinzelte Namen fallen lassen möchte, wenn es nun um Westerncomics geht.
Der Fawcett-Verlag (der übrigens mit seinem Captain Marvel die Verkäufe von DCs Superman übertraf und dafür letztlich zu Tode prozessiert wurde) setzt früh auf Comicversionen von Kino-Cowboys wie HOPALONG CASSIDY, GENE AUTRY und TOM MIX.
Erst ab 1948 aber beobachten wir eine wahre Stampede sterngeschmückter Scharfschützen – der wehrhafte Cowboy erweist sich als der realistischere Superheld.
Er kann zwar nicht fliegen, trifft jedoch mit jedem Schuss (und ist selber beinahe unempfänglich für die Geschosse seiner Gegner).
Der Marvel-Verlag schwingt sich in den Sattel mit Serien wie KID COLT OUTLAW und WILD WESTERN, die Konkurrenz bei DC kontert mit ALL-STAR WESTERN und WESTERN COMICS. Besonders kuriose Ausgeburt ist das Heft KID COWBOY vom Kleinverlag Ziff-Davis, in welchem ein bewaffneter Teenager-Junge reihenweise die übelsten „badmen of the West“ auf die Bretter schickt.
1950 nimmt ein Genre Fahrt auf, welches seit Jahren mit subkutaner Virulenz vor sich hinbrütete: Horrorcomics bahnen sich mit Ellbogen ihren Weg an die Spitze der Verkaufszahlen. Der betuliche Verlag ACG (American Comics Group) liefert seit zwei Jahren gutmütige Gruselware im Titel ADVENTURES INTO THE UNKNOWN, doch nun rufen die Entertaining Comics (EC) unter Leitung des frechen Herausgebers Bill Gaines und seines kompetenten Chefredakteurs Al Feldstein ihren „New Trend“ aus.
Sie modeln ihre bisherigen Serien belangloser Dutzendware gründlich um und klotzen vier Jahre lang dermaßen qualitätsbewusst rein, dass diese Comics noch heute als die besten Produkte ihrer Epoche gelten. TALES FROM THE CRYPT, VAULT OF HORROR und HAUNT OF FEAR befeuern die schlummernde Lust auf gewagte Experimente – sei es grafischer oder inhaltlicher Natur.
Zeitgleich powert Marvel (unter dem Signet „Atlas“) einen sagenhaften Horror-Output in den Handel. Obwohl sie viermal so viel produzieren wie der nächstgrößte Player, gelingt es Stan Lee nicht die Monopolstellung zu erobern. Nahezu alle Verlage publizieren 1952 Horrortitel.
Das Spektrum ist entsprechend atemberaubend: Vom literarisch bemühten Szenario über jenseitigen Trash und ironische „Quickies“ bis hin zu dreisten Plagiaten und derben Schockern findet sich alles!
Die Saat der Subversion (all diese Comics pflanzen Bilder in die Köpfe ihrer Leser, welche dem öffentlich gelebten „American Way of Life“ diametral widersprechen) geht zu Beginn der 50er Jahre noch prächtiger auf.
1952 kreiert Harvey Kurtzman bei ebenjenen schamlosen EC Comics das erste Satire-
Comicheft, das landesweit Verbreitung findet: MAD ist da (und geht auch nicht mehr weg). Als sich nach fünf Ausgaben tatsächlich ein gewaltiger Erfolg einstellt, versuchen auch hier Trittbrettfahrer mit Synomymtiteln wie CRAZY oder NUTS aufzuspringen. Die überragende Qualität von MAD schickt alle Kopien in den Orkus, erst 1958 kann sich CRACKED als dauerhafte Nummer Zwei etablieren.
Letztes neues Genre dieser Jahre ist der Kriegscomic. Der Eintritt der USA in den Koreakrieg (1950-53) beschert der Comicindustrie das „war comic book“. War der Krieg zuvor lediglich Folie ist für fantastische Eskapaden jenseits jeder Realität (erlebt von Superhelden oder Meisterspionen), so rückt mit Heften namens WARFRONT, G.I. JOE, COMBAT KELLY, MARINES IN BATTLE oder TRUE WAR EXPERIENCES der normale Soldat in den Mittelpunkt des Geschehens. Tapfere, unverdrossene Kämpfer mit dem Herz auf dem rechten Fleck meistern jede missliche Lage und metzeln sich durch Horden rotchinesischer Landser.
Betont sei jedoch, dass Verlage wie Atlas oder EC (schon wieder) ein anderes Bild des Krieges malen. In den Jahren 1951-54 überraschen und schockieren Serien wie TWO-FISTED TALES, BATTLEFIELD und FRONTLINE COMBAT nicht nur mit ungeschönten Darstellungen von der Schmutzigkeit und Sinnlosigkeit des Krieges, sondern auch mit einfühlsamem Verständnis für die Opfer auf der Gegenseite. Der Feind ist weder Bestie noch namenlose Nummer, sondern ein verzweifeltes Individuum mit den gleichen Ängsten, Nöten und Sorgen wie sein amerikanischer Gegner.
1952/53 erlebt der Comic-Boom seinen Höhepunkt: An amerikanischen Kiosken locken monatlich Dutzende von Titeln aller Genres mit waghalsigen Aufmachern. Wer hier nicht differenziert, in die Hefte hineinschaut (und womöglich gutes Artwork oder knackige Kurzgeschichten entdeckt), der ist geneigt, dieses Überangebot generell für „Teufelszeug“ zu halten.
Zumal wohlmeinende Pfarrer, Lehrer und Psychologen (darunter an vorderster Front der pressegeile Psychiater Dr. Wertham) stellvertretend für den US-Bürger zwar hineingeschaut, aber leider nicht verstanden haben, dass die wüsten „comic books“ einen popkulturellen Paradigmenwechsel in der Gesellschaft einleiten (wie der zeitgleich aufkommende Rock’n’Roll, der Siegeszug des Fernsehens und die Veröffentlichung des „Playboy“).
Ehe eine staatliche Zensur niederhämmern kann, zieht man in der Comicindustrie selbst die Notbremse und unterwirft sich einer (radikal ausgelegten) freiwilligen Selbstkontrolle namens „Comics Code“, die ab 1955 für alle 10-Cent-Produkte greift. Das Resultat ist ein kastrierter, infantilisierter und sterilisierter Comicmarkt, der auf kindliche Leserschaft ausgerichtet wird und jeden denkenden Menschen nur abstoßen kann.
Horror verwässert zu Mystery, lustvoller Trash gerät zu formelhaften Banalitäten, Crime verliert sich in faden „Räuber-und-Gendarm“-Possen. Die wenigen überlebenden Superhelden müssen jetzt gegen Weltraum-Monster antreten, oder noch ärger: ringen mit ihrem Privatleben (zu dem nun auch Super-Haustiere gehören).
EC lässt (wie die meisten anderen kleinen Häuser) die Läden runter, einige schaffen die Umstellung auf Herausgabe von „funny books“ – und obenauf schwimmt der Verlag Dell, der seit dem Jahr 1940 (!) bestens von familienfreundlichen Disney-Lizenzen lebt. Hinzu kommen ab Mitte der 50er Jahre weitere erfolgreiche Fernsehcomics (LASSIE, RIN TIN TIN, I LOVE LUCY) sowie Rückbesinnung auf klassischen Abenteuerstoff wie brave Western, ZORRO und TUROK SON OF STONE.
Überraschend gut schlägt sich DC, wohingegen Atlas/Marvel in die Krise trudelt.
Die Insolvenz des hauseigenen Vertriebs zwingt Stan Lee 1957, sein Comicprogramm radikal auf eine Handvoll Titel zu verschlanken. Historiker mutmaßen, dass diese Fokussierung auf Wesentliches die nötigen Synergien freisetzt, damit Marvel zu Beginn der 60er Jahre wie Phönix aus der Asche steigen kann…
DC übernimmt für den Rest der 50er Jahre das Superheldenbusiness und beweist den richtigen Riecher mit der Gründung eines neuen Heldenteams (JUSTICE LEAGUE OF AMERICA) und der zuvor erfolgten Wiederbelebung der Helden GREEN LANTERN und FLASH.
Im DC-Probierheft SHOWCASE vom Herbst 1956 wird der redesignte FLASH losgelassen, woran viele Comicliebhaber die Geburt des „Silver Age of Comics“ festmachen. Es sei darauf hingewiesen, dass der zweite Auftritt des neuen FLASH erst acht Monate später erfolgt, der dritte sogar weitere zehn Monate nach dem zweiten (da befinden wir uns schon im Jahre 1958).
An irgendwas muss man sich ja halten!
Deshalb will ich Ihnen zum Schluss mein „Mantra Nummer Zwei“ mit auf den Weg geben:
Comics waren nie kreativer als in den frühen 50er Jahren!
Wer sich auf Entdeckungsfahrt begeben möchte, dem kann ich wärmstens die Internetseiten COMIC BOOK PLUS und DIGITAL COMIC MUSEUM empfehlen. Ich bin dort Mitarbeiter und habe hunderte Hefte dieser Zeit gescannt und hochgeladen.
COMIC BOOK PLUS verfügt über geniale Suchfunktionen – zum Beispiel nach Genre („Categories“) oder nach Erscheinungsdatum („Newsstand“).