Zeitgenössische Leserinnen und Leser stutzen womöglich über die Struktur eines alten Comicheftes. Wer nur europäische Comicalben wie „Asterix“ oder die „Lustigen Taschenbücher“ kennt, mag befremdet sein vom US-amerikanischen Look. Deshalb hier ein paar Hinweise:
Das Cover ist so reißerisch wie nur irgend möglich. Am besten sogar reißerischer als es der gute Geschmack erlaubt. Ein Teil der Faszination für 50er Jahre Horror geht vom „shocking“-Faktor der Titelblätter aus. Grell, bunt, geheimnisvoll, wenn es geht wird eine schöne Frau hineinkomponiert, gerne spärlich bekleidet und in einer Notsituation dargestellt.
All das strapaziert auf Dauer die moralischen Sensoren einer Gesellschaft. Weshalb der Comics Code (die Selbstzensur der Verleger, auf die öffentliche Empörung hin eingerichtet) dem Treiben zum Jahresanfang 1955 auch ein Ende bereitet.
Manche Serien scheinen mehrere Titel zu führen. Die Reihe „Astonishing“ gibt sich den darüber laufenden Spruch „Terror Tales In The Night“. Andere Serien drucken (neben dem Titel) auf dem Seitenrand Schlagworte ab wie „Weird“, „Fantastic“, „Strange“, „Horror“ oder „Mystery“.
Zum einen diente dies der besseren Erkennbarkeit am Kiosk, falls der Titel von anderen Heften überdeckt war, zum anderen wollte man oft einfach möglichst viele Reizworte unterbringen.
Merke: das Cover muss nicht unbedingt etwas mit dem Inhalt zu tun haben!
Einige Titel sind reine „teaser“. Zum Beispiel Don Hecks legendär schöne Titelbilder für die Serien „Horrific“ und „Weird Terror“.
Die Preisauszeichnung findet sich jeweils im Kopfbereich des Titels, alle diese Hefte kosten 10 Cent. Sagenhaft preiswerte 10 Cent, der sogenannte „dime“. Die Wertsteigerung der Hefte lässt nicht nach, ein mittelprächtig erhaltenes Exemplar bringt heute gut und gerne 50 Dollar. Druckfrische oder von der Szene (des Inhaltes wegen) gehypte Einzelhefte sind das Vielfache wert.
Die Struktur eines Heftes ist meist diese: Vier Comic-Kurzgeschichten variierend zwischen 6 und 8 Seiten pro Story. Bei den EC Comics sehen alle Hefte so aus. EC verzichtete aber auch auf Fremdwerbung und brachte nur Werbung für eigene Produkte. Wenn im Heft noch tüchtig Werbung geschaltet ist, finden sich auch 5- oder 4-seitige Geschichten.
Werbung übrigens gab es für alles Mögliche und Unmögliche. Darunter Dinge, die man nie in einem Heft für heranwachsende Jungs erwarten würde. Hier eine Listung, was ich alles für Anzeigen entdeckt habe:
Briefmarken, Spielzeugsoldaten, Zeichenkurse, Tanzkurse, Autoreparaturkurse, Haarwuchsmittel, Miederwaren (!), Hautpigmentierungsentferner, Fußpilztinktur, Feuerwerkskörper, Musikinstrumente, Rosenkränze (!), Star-Autogramme, Uhren, Ringe, Tabletten gegen Bettnässen, Schraubenzieher-Sets, Gewichtsreduktions-Kaugummis, Angelzubehör, Damenpyjamas, Scherzartikel, Fahrräder, Ratgeberbücher und beinahe obligatorisch in fast jedem Heft – Bodybuilding! Oder, mit den Worten von Charles Atlas persönlich: „I can make YOU a He-Man at home!“
Jeder 50er Jahre Comic enthält neben den gezeichneten auch eine Textgeschichte von einer oder zwei Seiten Länge. Diese fungiert als reines Alibi. Kein literarisches Angebot, sondern ein Feigenblatt, um die „Minderwertigkeit“ des Produktes zu verdecken. Das Vorweisen einer Textgeschichte gewährte den Verlegern postalische oder preistechnische Privilegien (bekomme es nicht genau erinnert, aber darum ging es).
Jede Geschichte im Heft beginnt mit einem „splash“. Dies ist der Fachausdruck für ein großformatiges Eröffnungsbild. Dieses markiert den Beginn der Erzählung oder trumpft auf (meistens) mit dem dramatischen Höhepunkt – ein „Vorschau“-Bild sozusagen.
Oft findet sich daneben noch ein Textkasten, eine Art „summary“ der Geschichte. Leser, die noch nie alte Comics in Händen hielten, sind geneigt, den Splash samt Summary für ein „Was bisher geschah…“ zu halten.
Weit gefehlt. Es ist ein Teaser, ein Trailer, ein dramatischer Schrei nach Aufmerksamkeit.
Manche Serien bedienen sich eines oder mehrerer „hosts“. Diese Gastgeber tauchen im Splash auf, liefern eine (meist ironische) „summary“ und sprechen im Schlussbild der Geschichte oft noch ein moralisches Fazit aus.
Der wohl berühmteste Host der Comicgeschichte ist der „Crypt Keeper“ aus dem EC Verlag, der den Leser durch seine „Crypt Of Terror“ in der Heftreihe „Tales From The Crypt“ führt (zu deutsch: „Geschichten aus der Gruft“). Der Crypt Keeper ist eine Mischung aus Totengräber und Leichenfledderer, der in den Katakomben und Mausoleen der Friedhöfe haust.
EC kreierte analog zum Crypt Keeper den Vault Keeper sowie die Old Witch. Alle drei Horrorserien dieses Hauses hatten somit eine durchgängige Identitätsfigur. Andere Verlage sprangen auf diesen Zug auf, heraus kamen allerdings meist ungelenke und eher unfreiwillig komische Kopien wie der „Keeper of the graveyard“, „Dr. Graves“, „Mister Mystery“ oder „Baron Werewulf“. Am markantesten ist noch „The Mummy“ aus dem Hause Fawcett, eine sardonisch grinsende Faltenvisage. Auf den Covern der Serie „Beware! Terror Tales“ versucht sie den Leser ins Heft zu ziehen.
Die meisten Geschichten enden mit einem „twist“, einer unerwarteten Wendung im letzten Bild: Die totgeglaubte Person lebt noch, der Mörder tappt in die eigene Falle, das Monster wird von einem sich plötzlich demaskierenden zweiten Monster neutralisiert, der Bösewicht bezahlt seine Untaten mit Abdriften in den Wahnsinn.
Twists sind gerne ironischer Natur, die Comics von EC sind darauf spezialisiert. In der Tat macht (schwarzer) Humor die manchmal äußerst heftigen Vorkommnisse erträglicher. Ich möchte behaupten: Eine gute Horrorgeschichte wird stets mit einem zwinkernden Auge präsentiert.
Alles andere ist Trash oder Pipifax oder Splatter.
Weil es so schön ist, hier noch eine tolle (allerdings grausig kolorierte) Splashpage: